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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Heilbut, Emil: Aus Spanien
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0344

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von Her man Helferich

2?i


glänzte dessen grüne Bäume in der Luft festzukleben
schienen, und einige Arbeiter allein die brütende Stille
der südlich heißen Gegend durch Steineklopfen unterbrachen,
da war mir, als sei der Prado eine Zauberinsel, deren
Bilderreichtum, unter schattigem Dache, von heißer Um-
gebung rings eingeschlossen, den Kunstbegeisterten oasenhaft
erquickte.

Kam ich indessen zum Frühstück in meinen Gasthof
heim, saß da nicht als der Präses der Tafel der Table
d'hüte-Oberst der Operette, mit einem Gesicht, das so
kupferrot war, daß selbst das Glanzlicht seiner Stirn
einem Rosenblatt gleich glänzte? und aß er nicht fort-
während und immerzu? die dunklen Augen über den auf-
fallend starken ergrauenden Wimpern geradeaus gerichtet?
unachtsam der Konversation, welche die Engländer machten?
Und diese! saßen nicht auf dieser Seite der Mr. So
und so aus London mit seinem Gesicht der höheren
Klasse und dem hängenden Schnurrbart? neben ihm Lady
L. L., in den vierziger Jahren und ihr Mann, der noch
immer schöne, gewesene Major aus Indien? Heute
morgen mit einer sehr schönen Kravatte in blau, auf der
ein Brillantstein funkelt, während er gestern in weißer
Kravatte erschienen? Und sitzen diesen dreien gegenüber
nicht die drei Engländerinnen, die man überall trifft? Diese
alte Jungfer, jene alte Jungfer und jene weißhaarige Dame
in der Mitte, mit einem sympathischen Blick, die einzige,
die mir gefällt? So führt einen das internationale Hotel-
leben der Wirklichkeit wieder zu, und die Komik, die es
bietet, gibt es gratis. Denn unbezahlbar ist der essende
Oberst an der Spitze, der ißt, als ahnte er nicht (er
ahnt es wirklich nicht), welche Kunstschätze hinter seinem
Rücken im Prado sich finden und der mit Entschlossenheit
nur für das Hotel zu leben scheint, vom Frühstück an
auf das Mittagessen lebt und von diesem getrost den
folgenden Tag erwartet. Ist man nicht glücklich, wenn
man derartig veranlagt ist? Ach, wie beneide ich diese
sechs englischen Geister, die so gleichmütig nach Madrid
fahren, wie sie vier Tage darauf wieder in Pall-Mall
auftauchen, und hier nichts gesehen haben, weil sie nur
sich selbst leben. So glücklich ist der in der Tafelrunde
folgende junge Mann nicht, den ich nun schon Tag für
Tag ohne ein Wort zu sprechen, dasitzen sehe, er trinkt
nicht, er sitzt tiefsinnig vor seinem Glase, das mit Eis-
stücken und Wasser gefüllt ist. Warum ist er hier?
Mirakel. Gäb es hier Backfische, würde ich ihn für Einen
halten, der sich interessant machen will; er sieht aber
etwas wirklich leidend aus, und Backfische gibt es gar
nicht. Dann folgen einige unbedeutende Franzosen und
dann ich.

Wenn die Galerie geschlossen wird, gehe ich nach
dem „Salon des Prado" und lasse Madrid an mir vor-
beiwandeln und fahren; es hat einen eigenen Reiz, die
Modelle der alten Maler au sich Vorbeigehen zu sehen,
wenn inan soeben erst ihre Konterfeis nach Kräften studiert
hat. Denn es ist wahr, daß in den Typen fast nichts
sich änderte. Das Weib aus dem Volke ist nicht schön,
oder selten, dann freilich hervorragend, schön; die Reichen
indessen zeigen viele Schönheiten; die Mädchen, schön,

verheißend, sehr schlank; die Frauen voll, die Verheißungen
mehr als erfüllend, die Augen häufig wundervoll und
so bedeutend, daß man wähnt, sie verrieten nicht nur
Leidenschaft, sondern auch Geist. Das schönste aber sind
doch die Kinder. Man möchte vielleicht glauben, die
brünetten, diejenigen, die wie Murillos heil. Johannes
brennende Augen haben? Nein, die blonden. Madrid
hat auffallend viel blonde Kinder. Ein dunkles Blond,
nicht zum Braun, sondern zu einem wie gepuderten
Dunkelgrau neigend. Dazu eine himmlisch zarte Hautfarbe
(bei Frauen und Mädchen durch Puder unterstützt) und
die Augen, wenn sie schwarz sind, können Sie sich denken,
wie sie sind; wenn sie aber braun, sind sie wie mit einer
roten Tinte unterlegt und einer zarten roten Tinte auch
umgeben; dergestalt, daß sie in einer in der Farbe fast
krankhaft schönen Umgebung erstrahlen, welches mir um
so reizender erscheint, als bei aller Koketterie die Personen
von einer sicheren Gesundheit und heiteren Freudig-
keit erscheinen. Man sieht diese Augen, wenn die Personen
auf einen zukommen; sie öffnen sich, fassen einen auf;
dann verliert das Auge seinen Strahl und, wiewohl offen,
scheint es sich innerlich zu schließen. Wir aber haben
seinen Strahl bereits im Herzen; der Pfeil sitzt, und
vergebens strebt man, ihn aus der Wunde, und sich aus
dem schönen Gewühle zu entfernen. Es bleibt, bleibt man
im Gewühl, keineswegs bei Einem Pfeil, und das ist ein
Glück, denn hier paralysiert der eine die Wirkung des andern.
Diese Opfer, welche sich ein Kunstkritiker in dieser Weise
auserlegen muß, sind aber nicht nutzlos dargebracht. Wie oft
haben wir nicht zu bemerken Gelegenheit, daß alte Bilder
uns wunderliche Fragen aufgeben. Haben denn die alten
Menschen wirklich so wunderlich ausgeschaut? Ich bin
längere Zeit nicht in Nürnberg gewesen, ich kann nicht
über die Frage im Augenblick Bescheid geben, ob vielleicht
heute noch die Nürnbergerinnen so sel'sam sind, wie sie
nach den Dürerschen Bildern scheinen. Wir nehmen an,
daß fast jeder der alten Meister sein cacllet gehabt hat,
seine Art, Welt und Menschen zu schauen. Die Cranach-
schen Figuren, sie scheinen etwas.Chinesisches zu haben,
ihre Augen, geschlitzt häufig, gehen nach außen in die Höhe,
haben seine Originale wirklich so ausgesehen? Sie sehen
also, die Frage, wie die Originale ausgesehen, hat ihren
wissenschaftlichen Charakter. Sicherlich ist mancher Meister
von einem vorgefaßten Ideal ausgegangen, von manchem
andern aber zeigt die Erfahrung, die Nachprüfung und das
Forschen an, daß, was eine wunderliche Auffassung seines
Genius schien, in der Landesart begründet war und im
Typus der Menschen. Die Blonden und Brünetten des
Velazquez leben noch heute, ihre seltsam gezogenen Linien
und Gesichter, die dicken Haare, die sich vor dem Ohre
wölben, diese Gesichter von so eigentümlicher Fassung, daß
wir sie subjektiv angeschaut wähnen, sieht man leibhaftig
noch heute im Prado und ein Kind von der seltsamsten
Zartheit und Art, so aristokratisch uralt im Typus, so merk-
würdig wie eines derer, die bei Velazquez und Titian
in Weißen Kleidern und Goldlocken lieb und gravitätisch
zugleich uns ansehen, sah ich im Prado über ein Tau
springen, seine Geschwister hielten jedes die eine Seite
und sahen wie Velazquezsche Prinzessinen aus, aus ihrem
Rahmen gestiegen, sonst nicht verändert.
 
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