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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Brandes, Otto: Die Pariser Salons 1892, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0392

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Die Pariser Salons 1892

Zw

wie Köpfe, sogar wie Gänse auf dem Bilde aussahen,
so schüttelte zwar die Jury bedenklich über die Übergeist-
reichheit den Kopf, wollte aber l'ami 6e la brancs nicht
vor den seinigen stoßen und hing das Bild in einem
versteckten Saale, in dem sich bereits ähnliche Jrrtümer
befinden, auf. Recht neugierig ist man jetzt auf das
Bild, welches bei Liebermann im Atelier zurückge-
blieben ist.

Mit echtem Humor und mit großer technischer Fertig-
keit sind zwei kleine Genrebilder von Chevillard ge-
malt. Namentlich das eine ist ganz reizend, auf welchem
der aus der Stadt bei strömendem Regen heimkehrende
Landgeistliche gezwungen ist, einen erstandenen Zuckerhut
dem Regen ausznsetzen, während er aus dem nicht
schließenden Hausschlüssel durch Blasen den das Funk-
tionieren verhindernden Gegenstand zu entfernen sucht.
Wollte ich eine Stufe in meinen Ansprüchen tiefer steigen,
könnte ich tausende von nicht hohen Anforderungen ge-
nügenden Genrebilder zitieren. Wir lassen es damit
bewenden.

Auch das große Dekorationsbild weist dieses Mal
wohl Verblüffendes, aber nichts wirklich künstlerisch Wert-
volles auf. Am meisten diskutiert wird Benjamin
Constans Deckengemälde: Die Stadt Paris, die Welt
zu ihren Festen ladend, ein Bild, welches für den Fest-
saal des Stadthauses bestimmt ist. Das Bild ist in der
Komposition sehr geschickt, in der Zeichnung von bewährter
Meisterschaft. Die Gruppe der unter Drommetenschall
fortstürmenden Herolde erinnert lebhaft an die Figuren
auf dem berühmten Relief am Are de triomphe, die
„Marseillaise". Ob es nicht zu gewagt war, diese nackten
Körper und die im Ballkostüm auf Wolken über der
Stadt thronende Figur „Paris" in den bunten Wolken,
die aus dem in der gastfreien Stadt entzündeten benga-
lischen Feuer sich bilden, zu malen, lasse ich dahin ge-
stellt. Über Pu vis de Chavannes großes Wandgemälde
„Winter" schweigen wir am besten. Es ist arm in der
Erfindung, arm in der Farbe und vermag durch nichts
unser Interesse zu fesseln. Die Figuren der Bäume
fällenden Waldarbeiter sind hölzerner als das Holz, das
sie zu fällen im Begriff stehen.

In einem historischen Bilde entfaltete sich in diesem
Jahre die größte Summe der Kunst. Detailles Abzug der
Garnison von Huningen ist ein Meisterwerk ersten Ranges.
Der dargestellte Gegenstand spielte sich am 26. Aug. 1815
ab. Der General Barbanegre, ein Kampfgenosse Napo-
leons, verteidigte mit 200 Mann heldenmütig die Festung
Hüningen gegen 30,000 Österreicher, unter dem Befehle
des Erzherzogs Johann, und willigte nur unter der Be-
dingung in die Übergabe der Festung, daß die Besatzung
mit allen Kriegsehren abzöge. Als der Erzherzog Johann
den General Barbanegre an der Spitze von etwa fünfzig
Mann erscheinen sah, fragte er ihn, wo seine Besatzungs-
truppen wären. „Das sind sie!" erwiderte Barbanegre,
indem er auf das ihn begleitende Häuflein meist ver-
wundeter Soldaten wies. Nach diesen Worten ergriff
eine solche Bewunderung die Anwesenden, daß sie wie
auf Befehl vor der tapfern Schar die Häupter entblößten.
Der Erzherzog eilte auf den General zu und drückte ihm
ehrerbietig die Hand.

Wir hatten bisher Detail le als einen überaus
geschickten, für die Auffassung militärischer Typen be-
sonders veranlagten Künstler kennen gelernt, dessen Haupt-

qualität die sichere Beobachtung und die reinliche und
gewissenhafte Zeichnung war. Nun enthüllt sich uns der
ohnedies schon so bedeutende Künstler auch als Meister
der Ausdrucksgabe einer packenden Idee, und was hier-
von unzertrennlich als Kolorist. Dieses Bild ist ein
glänzendes Denkmal der Vaterlandsliebe, der Tapferkeit
und französischen Heldenmutes. Ganz hervorragend ist
die Komposition. Den Hintergrund des Bildes bilden
die zerschossenen Wälle und die das geöffnete Thor mit
der heruntergelassenen Fallbrücke flankierende Poterne
in dem bekannten grauen Festungstone. In den Sand-
stein haben die Kanonenkugeln ihre ehernen Grüße ge-
graben und die Fensterbänke sind von dem Pulver des aus
den Fenstern auf den Feind gerichtet gewesenen Musketen-
feuers geschwärzt. Die von Geschossen aufgewühlten Wälle
mit dem kümmerlichen Rasen stehen zu diesem düsteren
Hintergründe in stimmungsvoller Farbcnharmonie. Auf
dem Wege, der aus der Kaserne führt, bilden die öster-
reichischen Soldaten in ihren sauberen weißen Uniformen
in einer einmal gebrochenen Linie Spalier. Im Vorder-
gründe des Bildes links der Erzherzog mit seinem
glänzenden Stabe. Durch die Reihe der präsentierenden
Soldaten schreitet die abzieheude Garnison, zwei Tam-
boure, von denen der eine ein enkant cke troupe ist,
vorauf, das zerfetzte Feldzeichen in der Mitte. Man
übersieht den ganzen Zug, da die letzten Soldaten über
die naturgemäß höher gelegene Fallbrücke schreiten und
das Spalier in gebrochener Linie — ein feiner, übrigens
auch die Langeweile des Parallelismus aushebender Kom-
positionstric — aufgestellt ist. Die an der Spitze des
Zuges schreitenden Offiziere sind meist verwundet, der
General selbst trügt den Kopf verbunden, hinter ihm
wird von zwei Kameraden ein schwer blessierter Offizier
geführt. Der General ist auf der Höhe des Erzherzogs
augekommen, die geschilderte Szene hat sich eben abge-
spielt und der österreichische Truppenführer reicht dem
Helden der größten Waffenthat der modernen Kriegs-
geschichte begeistert die Hand, während der Stab das
Haupt entblößt. Niemals sind so markig und so farben-
prächtig der Mut und die Vaterlandsliebe besungen worden.
Aus dem Bilde schlägt in das Herz des Beschauers un-
willkürlich die patriotische Begeisterungsflamme, es ent-
facht sich der Mut, es weitet sich das Herz, nicht bloß
der Franzosen. Jedermann, der soldatisch fühlt, empfindet
vor diesem Bilde, welches Freund und Feind gleich ehrt,
ähnlich, wie wenn er die Heldengeschichte der Vorzeit
liest. Es ist kein relativer, sondern ein absoluter Patrio-
tismus, der aus dem Bilde reflektiert. Wir haben schon
das Kompositionsgeschick des Meisters in diesem Bilde
angedeutet. Koloristisch wirkt das Bild durch den schwer-
mütigen Hintergrund, der in diesem Heldensang den
Grundbaß mitbrummt, durch den unwillkürlichen, nicht
gesuchten Kontrast der abgeschabten, zerfetzten Uniformen
der Franzosen zu den glänzenden, flammend neuen An-
zügen der Österreicher, durch den Gegensatz der ver-
härmten, abgemagerten Gesichter der Belagerten zu den
gutgenährten der rosigen Belagerer. Ich spreche nicht
von der sorgfältigen Beobachtung der Rassentypen der
verschiedenen Militärs, nicht von der meisterhaften Technik,
durch welche es gelungen, selbst das Schwanken der
präsentierten Gewehre wiederzugeben: das sind Eigen-
schaften, die wir bei Detaille kennen und die uns nicht
mehr überraschen. Das Bild ist dem Staate unter der
 
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