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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Brahm, Otto: Ein Pariser Kunstbrief von Stauffer, Bern
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0412

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Lin pariser Aunstbrief von 2tausfer-Bcrn


Ich machte die Reise, weil ich es für nötig hielt, in dein gegenwärtigen Stadium meiner Ent-
wickelung möglichst alles zu sehen, was gemacht worden ist und gemacht wird, um danach mich resp. meine
Wenigkeit und mein Streben, so viel an mir ist, zu kontrolieren und zu taxieren. Ich hatte das lebhafte
Bedürfnis, vor allem wieder den Salon zu sehen und die großen Werke der alten Niederländer. Ich faßte
hier von einem Tag auf den andern den Entschluß, nach Paris und den Niederlanden zu reisen, weil ich wenig
Initiative hatte oder Drang zur Arbeit. (Der Freytag war zu hoher Befriedigung vom Minister re. abge-
nommen worden und ich hatte 4000 M. in der Tasche, von denen ich zehn Procent zur Reise bestimmte.) Ich
habe diesmal den Weg über Brüssel genommen, kam an einem Sonntag Morgen in Paris an, ging unver-
züglich in den Louvre und von da in den Salon und kam die ganze Woche nicht mehr heraus, ging nirgends
hin, nicht einmal ins Bois, in kein Theater, nur einmal früh morgens nach Bille d'Avray. Eine solche Reise,
wie ich sie hinter mir habe, ist kein Vergnügen, aber eine große Anstrengung.

Ich betrat den Salon im Palais de l'Jndustrie mit dem Gefühl wie früher: ziehe deine Schuhe aus,
denn hier ist heiliges Land, aber ich muß gestehen, daß ich nicht mehr in die Stimmung kam wie die vorigen
Male, was ich sah, fand ich zum großen Teil nicht so, wie ich mir dachte, und das Bild, was ich von der
französischen Kunst mit mir herumtrug, war grundverschieden von dem, welches sich hier zeigte. — Sie halten
mir zu gute, wenn in diesem Brief immer nur von mir und meinen Meinungen die Rede ist, Sie wissen
wohl, daß ich meine Person und Ansicht weder für wichtig noch für unfehlbar halte, und mein Schaffen oder
Streben einfach als eine Folge meiner Beanlagung taxiere. Es kann, was ich thue, von keinem Belang sein
oder Nutzen für die Gesamtheit, es ist etwas rein Persönliches ohne Verdienst und ohne Nutzen, man übt seinen
Beruf aus, weil man ihn gelernt hat und weil man nicht anders kann, der Unterschied zwischen einem andern,
z. B. Schuster oder Schneider und einem Künstler ist nur der, daß das eine leichter zu lernen als das andre,
und daß zur Fertigstellung eines guten Kunstwerkes mehr moralische Kraft und Konsequenz gehört als zum
schönsten Stiefel. Ich wollte aber eigentlich sagen, daß, wenn ich Ihnen überhaupt berichten will über das,
was ich gesehen, ich keine bessere Ansicht mitteilen kann, als die meine, ohne Gewähr für deren Wert, und im
Voraus um Verzeihung bitte, sollte mir hier und da ein Wort entschlüpfen, was zu sehr nach Selbstbewußtsein
oder Unbescheidenheit aussähe. Der Herr, der ins Verborgene sieht, weiß wohl, daß ich mich für keinen
Kronleuchter halte. Also zur Sache. Es sind wie immer auf dem Salon sechsthalbtausend sogenannte Kunst-
werke, von denen viele besser weggeblieben wären, man könnte sich dann die furchtbare Anstrengung der Orien-
tierung sparen. Auf einer deutschen Ausstellung weiß ich ganz genau, von den und den Leuten ist etwas Gutes
oder Interessantes zu erwarten, und sehe mir nur diese Sachen an, jedenfalls spare ich mir die Mühe, alle
Winkel auszuspähen. Dort ist es anders, auch der Durchschnittsmensch oder Künstler macht dort etwas, das
sich mitunter nicht übel präsentiert, er hat mehr gelernt, bedeutend mehr als der Deutsche im allgemeinen;
malt der Deutsche incckiocrc etwas, so ist es einfach so schlecht, daß das gebildete Auge gar nicht recht hinzu-
sehen braucht, ein Blick und die Sache ist abgethan, das Ding stellt sich von vornherein als etwas Erbärmliches
dar. Das kann man von den mittelmäßigen französischen Bildern nicht sagen. Alle französischen Maler leben
in Paris, malt nun ein tüchtiger Mensch etwas Gutes, so gucken ihm die andern schlechteren oder Minderbegabten
so gut als möglich die Äußerlichkeiten der Erscheinung ab, Lichtwirkung, farbige Effekte, sogar die Motive
stehlen sie, sogar die Gruppierungen auf den Bildern. Auf diese Weise geschieht es, daß man erst tagelang
herumgehen muß, um zu sehen, wo die guten Bilder hängen. Es ist kein Genuß, den Salon anzusehen als
Fremder. Der Eindruck, den ich hatte, war der, daß auch in Frankreich wenig Gutes und noch viel weniger sehr
Gutes gemacht wird, und daß auch die Franzosen mit Wasser kochen. Früher machte auf mich das Streben nach
möglichst wahrer und einfacher Darstellung der Natur Eindruck, ich sah, daß die Leute mehr gelernt hatten als ich,
daß die Lehrer ihren Schülern weitere Gesichtspunkte zeigen, daß die Tradition eine größere und ältere ist wie bei
uns, ich sah mir die Bilder auf die korrekte Zeichnung, hauptsächlich auf das an, was ich nicht besaß, natura-
listische Farbe u. s. w., ging dann wieder nach Berlin nnd suchte mit aller Kraft das nachzuholen, mich von aller
Altmeistermalerei und Kleinlichkeiten loszumachen. Jetzt komme ich wieder hin, nach vier Jahren, und habe mir
das auch zu eigen gemacht, was ich bei den Franzosen so hoch schätzte, nun ist eine gesunde Naturanschauung,
oder besser gesagt Technik, nicht mehr eine Sache, die ich an einem Künstler als das höchste schätze, sondern
ich halte es einfach für selbstverständlich, daß jemand, der das Prädikat eines guten Malers für sich in
Anspruch nimmt, das Handwerk los hat, daß er mit andern Worten auf eine gesunde Weise ein Stück Natur
abmalen kann, es ist das eine conckitio sine <qua non, aber da fängt die Kunst erst an, dann kommt das
Stadium, wo man mit dem was man gelernt hat, was anfangen soll, das ist die zweite und größere Aufgabe
des Künstlers. Immer wieder kam mir Dürer in den Sinn: „Gehe nicht von der Natur in deinem Gut-
dünken, daß du wollest meinen, das besser von dir selbst zu wissen", das heißt, mach, daß du was tüchtiges
lernst — „denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, und wer sie heraus kann reißen, der hat sie". Das
ist das punctum salisns: wer sie heraus kann reißen, der hat sie. — Ich verlange von einem Kunstwerk,
daß es zum Beschauer spricht, es muß irgend etwas sagen. Sagt es, sieh, der mich gemacht hat, ist durch
 
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