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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Pecht, Friedrich: Die Münchener internationale Ausstellung von 1892, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0427

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5Z8

Die Münchener internationale Ausstellung von 18Y2

behandelt hat, die dem heutigen Bild natürlich nicht im gleichen Maße eigen. Dafür enthält dasselbe jetzt in
den bei eben stimmender Musik hereintretenden Tanzlustigen gleich vorne ein wahres Musterpaar, sichtlich der
Aristokratie des Dorfes angehörig, wie sie denn auch die jüngste und in ihrer naiven Unschuld anziehendste,
er aber der frischeste Bursche von allen ist, so daß sie recht eigentlich vom Schicksal für einander bestimmt
scheinen. Rechts von ihnen sieht man dann in der Tiefe der Stube noch andre Bursche und Mädchen und
einen Tisch voll zechender Bauern, immer aber kehrt der Blick auf das den Tanz eröffnende jngendschöne Paar
zurück, das unsres Meisters alte Stärke in der Darstellung der Tiroler Bauern aufs neue darthut. Während sie
aber mit unnachahmlich mädchenhafter Kopfhaltung den Beginn der Musik bei den noch stimmenden Musikanten
erwartet, hat er den einen Daumen im Hosenträger und den andern stemmt er an den Leibgurt, während er
die übrigen Finger in der Hosentasche vergräbt. Das giebt seiner Haltung etwas Schlagfertiges und beiden
etwas Individuelles, was sofort für sie einnimmt.

Der Hauptwert der Sittenbilder unsrer Ausstellung liegt aber diesmal doch nicht in ihren Schilderungen
des Bauernlebens, wie viele gute deren auch vorhanden, sondern der Fortschritt unsrer Kunst hat sich, dem
allgemeinen Zuge der Zeit folgend, vom Dorf in die Stadt gezogen. Bayreuth, diese merkwürdige Erscheinung
in unsrer Kunstgeschichte, hat offenbar auch auf unsre Maler gewirkt! Oder wie sollte man es sonst erklären,
daß sich gleich drei der hervorragendsten Sittenbilder, darunter zwei von bis dahin ziemlich unbekannten Künstlern,
Konzerte zum Vorwurf aussuchen?

So bringt der Münchener Doub ek eine „Gesangsprobe beim Intendanten", die eine junge Künstlerin
ablegt, welche unterm Schutze ihrer Mama .sich in diese unter Umständen ziemlich gefährliche Löwenhöhle gewagt.
Hier, wo noch zwei weitere Zeugen im Klavierbegleiter und dem den Intendanten beratenden Regisseur an-
wesend, läuft unsre ziemlich siegesgewiß auftretende Novize keine andre Gefahr als die, dem Herrn Baron,
der offenbar mehr aufs Hören als aufs Sehen erpicht scheint, nicht zu entsprechen. Jedenfalls sind die Würfel
noch nicht gefallen und wir bleiben ungewiß, da sich einstweilen nur der Regisseur für die Schöne sichtlich
begeistert. Umsoweniger sind wir bei Meyer-Mainz musikalischer „Matinee" im Zweifel, daß die kolossale
Primadonna, die eben eine Bravourarie sehr schmelzend vorträgt, bei ihrem vornehmen Publikum wenigstens
einen freilich kaum gewünschten Heiterkeitserfolg davonträgt. Wohl des dankbaren Kostümes wegen hat der
Künstler seine Szene in die Zopfzeit, an irgend einen der geistlichen Höfe in Mainz, Trier oder Würzburg
verlegt, die ja Sammelstätten des Adels waren und bisweilen auch, in Schöngeisterei machten. Der Dilettan-
tismus der dicken Gräfin, die da mit solcher Sicherheit falsch singt, scheint alle Welt, nur nicht den unglücklichen
Komponisten am Klavier zu amüsieren, und unser Künstler hat denn auch diese medisanten Standesgenossen
mit viel Humor und besonders eminentem Farbensinn geschildert, wobei ihm die reiche und vortrefflich gemalte
Barockarchitektur des Salons noch besonders gelang. Das in Bezug auf feine Charakteristik und pikante Er-
zählung gelungenste der Bilder ist dann eine solch' musikalische Matinee in hocharistokratischem Zirkel in Wien
zur Empirezeit, in einem schlecht antikisierenden Lokal geschildert von Simm. Hier spielt irgend ein italienischer
Geiger, den eine blonde Schöne mehr eifrig als glücklich auf dem Klavier begleitet, die Hauptrolle. Unglück-
licherweise hat sie aber gerade falsch gegriffen, so daß ihr der hochaufgerichtet dastehende Maestro einen
wütenden Blick von der Seite zuwirft, der schon urkomisch auf den Beschauer wirkt, wie er zu den gelungensten
„Naturbeobachtungen" des daran so reichen Bildes gehört. Zur Seite sieht man dann noch einen jungen
Schiller in sps au der Wand stehen, der auch geladen worden, während die übrigen Damen und Herren meist
der Creme angehören. So einige sehr verlebte alte Diplomaten links, in der Mitte eine vornehme Mutter
mit ihren Kindern, rechts aber einige junge schöne Damen, von denen sich die eine, zur nicht geringen Empörung
der hinter ihr sitzenden älteren, sehr energisch den Hof machen läßt. Was uns aber so fesselt an dem Bilde,
ist, daß es nicht eine einzige Figur enthält, der man nicht ihren individuellen Charakter genau ansähe und die
nicht ganz in die ein wenig süßliche Schwärmerei jener Kulturperiode paßte, so daß man unwillkürlich Konjek-
turen darüber anstellt. — Mehr novellenhaft komponiert und ganz unsrer realistischen Zeil angehörig ist dann
ein reicher Kommerzienrat oder Großindustrieller, der eben sein Testament abfassen und dabei offenbar eine Tochter,
die gegen seinen Willen geheiratet, enterben wollte, daran aber durch den Kniefall der mit ihren Kindern plötzlich
Erschienenen gehindert wird, was Bokelmann mit hervorragendem koloristischen Talent darstellt. Ungewöhnlich
ergreifend ist dann noch der „Dorfbrand" dieses Meisters, ein so bekanntes Bild, daß ich mir dessen Schilderung
ersparen kann. Um so packender ist eines andern Düsseldorfers, Brütt, „Stunde der Entscheidung", d. h. eine
gleich beginnende Schwurgerichtssitzung, wo wir die Lampen in dem halbdunklen Raum eben anzünden und
den Gerichtshof hinten hereintreten sehen, während vorne die junge und schöne Angeklagte sich noch so eifrig
mit ihrem Verteidiger unterhält, daß man fast an ihre Schuld zu glauben versucht wird. Hier ist besonders
die unsichere, ja unheimliche Sümmung des Ganzen vortrefflich gelungen. Rührend und auch gut beobachtet
ist dann ein Eisenbahnwartesaal mit einer Gruppe armer Auswanderer von Matiegzeck, einem vielversprechenden
Schüler des Direktors Löfftz. Der Liebesszenen giebt es natürlich auch unzählige aller Art; eine der besten
ist von Pötzelberger, wo man in dunkler Gartenlaube eine Dame sieht, welche den Schwüren eines Leutnants
 
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