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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Heilbut, Emil: Berühmtheiten von Madrid
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0461

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566

Berühmtheiten von Madrid

nicht groß ist, ist Goyas Name wie der eines Jngannes,
oder wie Menzels der eines Schutzheiligen. Das bezieht
sich aber mehr auf die Aquatinten, die in der That
merkwürdig sind und häufig fesseln. Für Goyas Malerei
vermochte nicht so viel geschwärmt zu werden, schon
weil sie, außer in Spanien, nicht gesehen werden kann,
doch hat Manet immer geglaubt, in die Fußstapfen des
Velazquez und des Goya zu schreiten. Einer genaueren
Vertrautheit mit Manet, Renoir, Degas mich erfreuend,
wage ich zu sagen, daß sie diesen Maler in Delikatesse
des Sehens und Geschmack der Bilder hinter sich lassen,
und daß er ihr Anreger war, kann ja darum doch der
Fall sein. Mit der Anregerschaft ist es eigen. Häufig
stellen sich die Angeregten den Anreger nur „so vor"
und das genügt, sie weiter zu führen; es kamen früher
Photographien nach französischen Mustern in die
Schaufenster der Münchener Kunsthandlungen, und wenn
ich nicht irre, wurde der Ton dieser Photographien von
den jüngeren Münchener Malern zum Teile falsch
verstanden, und dieser Ton hat sie angeregt, ein
exquisites Grau zu suchen, das die Franzosen in dieser
Weise gar nicht gehabt hatten und das nur durch die
Photographen, die einzelnen der Hellen Farben nicht
anders als durchs Grau gerecht werden konnten, erzeugt
war. Wie dem auch sein mag, es waren die Franzosen
die „Anreger" der Münchener Graumalcrei zu neunen
und so kann eine noch luftigere Art der Anregung ge-
dacht werden, gleichsehr wie einer, zwischen zwei Dampf-
wolken aus der Zigarette, abends auf einer Bank im
Freien sitzend, dem Enthusiasmus für die größten Er-
scheinungen der modernen Kunstmittel Luft machend, ein
„Millet ist famos" murmeln kann, und beschreibt dann
irgend etwas von ihm, und der andre sieht Millet dann
im Geist, oder glaubt ihn zu sehen, durch die Hand-
bcwegung, der Ton des Erzählers berauscht, und so bildet
sich eine Legende auch in der Gegenwart und trägt Früchte.

„Wie? Sie sind in Spanien gewesen? Erzählen
Sie!" So denke ich mir das Schicksal dessen, der aus
Spanien zurückkommt. Und nun muß sich der Maler
im Kreis der Kollegen hinsetzen. Wovon soll er reden?
Das Neue doch natürlich! Denn Titian — Titian ist
ja in sechzig Exemplaren in Madrid, und das will was
heißen, das gibt ganz neue Begriffe von Titian, und ich
versichere Ihnen, der Unterschied zwischen der vortreff-
lichen Kopie von Lenbach nach Titians Karl V. (den
Sie bei Schack gesehen haben) und dem Original dieses
Reiters auf schwarzem Rosse (Boulanger ist wirklich auch
in keinem Nebenumstand originell gewesen) ist so groß,
wie der zwischen einer Kopie von Lenbach und einer
derer, von welchen so sehr viele auf ein Dutzend gehen.
Diesen Reiter zu sehen, ergreift mit Grausen fast. Das
schwarze Pferd trägt ihn vorwärts, bedächtig springend.
Die gelbe Wolke dringt von hinten vor und gibt etwas
wie eine Ekstase. Des Abends Glut dringt rötlich oben
durch die grauen Wolken. Die Singvögel fürchten sich
vor diesem Reiter. Die Laubmassen liegen ruhig. Und
hinten erfrischt sich das Auge am Blau der Ferne. Es
ist labend, zu dieser Stunde die Luft einzuatmen und
fast lächelnd, so faßte ich ihn auf, sitzt der gedankenvolle
Reiter im Sattel und läßt sich tragen. Sein Blick trifft
euch, wiewohl er nicht auf euch gerichtet ist, vielleicht
den Abend des Lebens sieht, und wie wunderschön ist
dieser Abend — mit dem Auge des Malers, nicht dem

des Historikers — gesehen. Schöner wurde nie ein
Harnisch mit etwas rötlichem schimmerndem Stoff um-
kleidet, mit Goldzierat gehoben, malerischer bäumte sich
nie eine Unterlippe zur Starre des Nachsinnens in einem
bleichen hageren Gesichte. Trotzdem, all das versinkt,
das Menschliche allein drängt sich auf; sie erschüttert vor
dieser einsamen Gestalt auf dem Feld von Mühlberg.
Ihr seht sie historisch, ihr seht das Porträt eines alten
großen Mannes. So tüchtig ist des Malers Kraft, müßt
ihr bewundernd sagen, so drängt er euer Interesse auf
das Wichtige zusammen, daß ihr des in die Schatten
des Vordergrundes einsinkenden Pferdes zu vergessen
vermögt, diese entsetzlich gezeichneten, von dem Holz, aus
dem die Nürnberger Spielzeuge hervorgehen, geschnitzten
Teile nicht bemerkt habt, euch dieses Tier nur wie ein
Roß im allgemeinen erscheint, mit fast nichts als einer
Silhouette, und doch, und vielleicht deshalb gerade, mit
sehr stark sich ausdrängender Vorstellung des an uns sich
fast wellenartigen Vorüberbewegens. Karl, so prachtvoll
dedailliert, tritt in hohem Gegensatz zu dem Pferd. Und
so ist dieses von größter Weisheit im Bilde. Dieses
unbestimmte Etwas, als ein fast unsichtbarer Körper,'
halb im Dunkel des Abends schon, schiebt den Reiter
vorwärts, nichts bemerken wir, als das er reitet, und
werden so nicht so sehr auf das Pferd abgelenkt, als daß
wir bemerken, daß die Hauptperson beritten ist. Aber,
sehen Sie, so dürfte der aus Spanien zurückkommeude
Maler nicht reden. Denn, würden seine Kollegen sagen,
was du uns erzählst, ist ganz hübsch, mit Ausnahme
deiner zu langen Sätze, die du dir abgewöhnen könntest,
doch giebt es uns nichts neues: das haben wir schon
durch Leubachs Kopie empfunden; daß Nuancen darin
schlechter sind, glauben wir ja gern, aber es ist nicht
so entscheidend: sag' uns was neues . .. „Velazquez?"
Kennen wir auch schon. Der posiert. Der Philipp III.,
der bei Schack, Posiert. „Posiert?" Natürlich! — Es ist
nicht wahr: Velazquez posiert nicht, sondern der Spanier
posierte häufig in Velazquez Zeiten, aber gleichviel, die
modernen Kollegen verlangen andres, und in der Not
— der Maler wagt nicht von Rafaels wunderschöner
Madonna mit dem Fisch zu reden, von den entzückendsten
aller Palma Vecchios, die auf der Welt sind (und der
wirklich so wundervoll, daß ihn der Katalog noch für
Giorgione hält) — er wagt nicht von dem märchenhaft
idyllischen Madonnenbilde zu sprechen, das von Giorgione,
diesem seltensten und köstlichsten aller Venetianer, in der
Galerie zu sehen ist, noch von dem pretiösen Jugend-
selbstporträt Dürers, viel schöner als das Selbstporträt
in München, viel pretiöser aber — denn, so selten auch
so schöne Exemplare der Meister Vorkommen, mit Aus-
nahme des Giorgione findet man Vertretungen Rafaels,
Dürers, Fießlers, Titians, Palma Vecchios so ziemlich
überall; und darum ist für die unglücklichen Erzähler
die Losung: Neues, und so denke ich mir, ist die stets
weiter getragene und neue Ringe bildende Geschichte von
Goya entstanden. Goya und die Stierkämpfe! Auch
bei ihnen vielleicht ist die Furcht, dqß man nur Pech
gehabt hat und die eine Vorstellung, die man sah, wenig
interessant war, die manche Reisende veranlaßt, zu er-
röten: „Ja, wenn Sie diese Stierkämpfe nicht gesehen
haben, kennen Sie Spanien nicht." Soll ich Ihnen
sagen, welchen Eindruck mir die Stierkämpfe gemacht
haben? Ich habe mich gelangweilt. Ach! muß das
 
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