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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1932)
DOI Artikel:
Alverdes, Paul: Denkrede auf Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0403

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(Aeiten das größte, beste, herrlichste menschliche Wesen, das Gott geschaffen
hat .... Heute war eine Stnnde, wo ich chn ersi in seiner ganzen Hero-
lichkeit, — der ganzen schönen gefühlvollen, reinen Menschlichkeit sah. Außer
mir kniet ich neben ihn, drückte meine Seele an seine Brust und beteke
Gott an!"

Ein solcher Mensch also, äußerlich wie innerlich zu einem Abgott aller Emp-
findenden erschaffen, eine irdische Gestalkwerdung des schöpserischen Genius'
der Iugend schlechthin, znr schweisend schaffenden Ruhelosigkeit und Unbe-
hanstheit bestimmt, ein Verächter, wie es scheinen konnte, aller Regel und
Gebundenheit, Feuer statt des Blutes in seinen 2ldern und schon mit dem
Ruhm der ganzen Welt gekränzt — er kommt an einen kleinen Fürstenhof,
kommt und bleibt und verwandelt sich alsbald zum ersten Nckale von seinem
innersten Grund anf. Die Tollköpfe, die ewigen Philisterseinde von Pro-
session und alles, was nicht aufhören wollte, nur zu gären nnd zu schäumen,
sie mochten sich von seinem Wohnen in der Freundschaft und in der Be-
wunderung eines regierenden Herzogs eine Legitimierung und Verewigung
der Aufgeknöpftheit, des schrankenlos ausschweifenden Genietreibens erhoffen.
Andere, zu deren Sprecher in einem hausväterlich und sittenwächterlich be-
sorgten Briefe sich der alternde Klopstock machte, mochten es besürchten.
Deutschland aber erwartete sich — und Sie erlauben mir, daß ich jenes
andere Deutschland, das sich auch damals eben nichts erwartete, in unserem
Zusammenhang übergehe —, es erwartete sich die gedoppelte Fülle und
Mächtigkeit der dichterischen Werke, auf welche ihm das Vorhandene und
Herausgegebene Anspruch zu verleihen schien. Statt dessen, nach einer kurzen
Zeit des brüderlichen Schwärmens und Genießens mit dem fürstlichen Freund,
beginnt der Dichter nach außen hin stummer zu werden. Nkoch keine dreißig
Iahre alt, wird er ein Beamter, ein mit der ganzen Fülle der Berankwor-
tung beladenes Mitglied der Regierung seines Herzogs. Eö ist, als begänne
er in der ahnenden Erkennung einer Gefahr, welche den dichterischen wie
vielleicht keinen anderen unter den Genien der Kunst bedroht, nach einem Ort
zu suchen, der seinen Füßen Halt auf dieser Erde zu geben vermöchte; er
unternimmt es, sich selber Widerpart zu halten, indem er aus seine Weise
der Welt Wert zu verleihen trachtet.

Der später einmal in ein Stammbuch bemerkte, daß die Musen zwar zu ge-
leiten, aber nicht zu leiten verstünden, schrieb damals in sein Tagebuch:
„Elender ist nichts, als der behagliche Mensch, ohne Arbeit; das Schönste
der Gaben wird ihm Ekel." Den Druck der Geschäste nennt er „sehr
schön der Seele" und bittet die Gottheit: „Lasse uns vom Mvrgen bis zum
Llbend das Gehörige tun und gebe uns klare Begriffe von den Folgen der
Dinge... Möge die Jdee des Reinen, die sich bis anf den Bissen erstreckk,
den ich in den Mund nehme, immer lichter in mir werden."

II.

llnd was war es denn sür eine Gesahr, die ihn bedrohen konnte? „Bei
meinem Streben und Streiten und Bemühen bitte ich Euch nicht zu lachen,
zuschauende Götter! Allenfalls lächeln mögt Ihr und mir beistehen!" — In
diesen Worten, die der dreißigjährige Geheime Nat und Vorsihende eines

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