Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

DOI article:
Neue Erwerbungen der Hamburger Kunsthalle
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0336

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Meue Erwerbungen der

ie Direktion unserer Kunsthalle hat in den Erwerbungen
für dieselbe einen ganz neuen Weg eingeschlagen. Wäh-
rend zum Beispiel in England die Werke moderner Meister erst
zehn Jahre nach dem Tode des Künstlers, nachdem sich das
Urteil darüber völlig geklärt hat, ins Museum kommen können,
während in Deutschland, außer den Museen, die für moderne
Kunst bestimmt sind, die anderen nur gelegentlich neuere
Bilder aufnchmen, ist cs hier als wichtigste Aufgabe unserer
Kunsthalle ins Auge gefaßt worden, dafür zu sorgen, daß die
neuesten Richtungen zuerst in der Malerei und namentlich in
Beziehung aus die Technik derselben ihre Vertretung finden.
Wie dieses rücksichtlich auf Aquarell und Pastell in der „Samm-
lung hamburgischer Landschaften" seit einigen Jahren geschehen
ist, wird unfern Lesern wohl noch in Erinnerung sein. Auch im
verflossenen Jahre ist diese Kollektion um zwei Pastelle und vier
Aquarelle, teils von Pros. Skarbina (Berlin), Hans Bartels
und Momme Nissen in München und Prof. Lutteroth
(hier) vermehrt worden. Was diesen Erwerbungen noch beson-
deren Wert verleiht, ist, daß sie sämtlich von hiesigen Kunst-
freunden gestiftet worden sind. Jetzt ist ein neuer, und wie man
gestehen muß, viel folgenreicherer Plan nicht allein gefaßt worden,
sondern schon in den ersten Stadien der Ausführung begriffen:
es soll eine „Sammlung moderner Skulpturen in edlem Material"
geschaffen werden. Von dem gewiß richtigen Gedanken geleitet,
daß die „Plastik" den Angelpunkt in der Bewegung zur Ent-
wicklung der großen Kunst bilden muß, und dieses besonders in
unserer Zeit notwendig ist, wo in der Malerei sich die Gegen-
sätze aufs höchste verschärft haben, hat sich die Direktion unserer
Kunsthalle der Erkennlniß nicht verschließen können, daß moderne
Kunstinstitute sich um so mehr die Förderung der Skulptur an-
gelegen sein lassen müssen, je weniger in der Regel Private für
dieselbe zu thun geneigt sind. Es ist daher als ein großer
Erfolg zu betrachten, daß es dem sehr rührigen Direktor, Herrn
Pros. vr. Lichtwark, gelungen ist, viele unserer bedeutenden
Stiftungen, sowie Vereine für Kunstzwecke zu einer gemeinsamen
Anstrengung auf diesem Gebiete zu bewegen, zu Anstrengungen,
deren Früchte hier schon vorliegen. Als Erstlingserwerbung ist
in den Weihnachtstagen die lebensgroße Marmorstatue „Ein junger
Helot", des Bildhauers Wilhelm Kumm ausgestellt worden.
Der junge Künstler, Hamburger von Geburt, hat seine Studien
unter Prof. Schaperin Berlin vollendet. Schon vor zwei Jahren
zog er durch die Statue des Mucius Scävola große Aufmerksamkeit
auf sich, und als er im März vorigen Jahres das Gypsmodell
des jungen Heloten in der Kunsthalle zur Ausstellung brachte,
fand sie so allgemeinen Beifall, daß „der Verein der Kunst-
freunde von 1870" beschloß, die Statue, in Marmor ausgeführt,
als Erstlingsgabe dem erwähnten Plan gemäß der Kunsthalle
zu stiften. Das ist geschehen und würdig füllt sie ihren Platz
aus. Auf seinen Spaten gestützt, steht der jugendliche Arbeiter
aus ruhend da; der Gesichtsausdruck ist ernst-traurig, es kommt
einem unwillkürlich der Gedanke, daß er in der Ferne eine Schar
jünger Spartaner erblicke, die in kriegerischer Übung ihren Körper
stärken und bilden, während er, nur auf die Feldarbeit ange-
wiesen, an die Scholle gefesselt, einem halben Sklaventum ver-
fallen ist. Haltung und Entwicklung des jugendlichen Körpers
deuten dies aufs klarste an und so überkommt den Beschauer
ein tiefes Mitleid mit der gebundenen Kraft: Des Künstlers
Idee ist zum vollen Ausdruck gekommen! Die Ausführung der
Arbeit zeugt vom gediegensten Fleiße und strengstem Studium;
nirgend ist die Wahrheit geopfert, aber auch nirgend die Schönheit
verletzt: es ist ein gelungenes Werk! Ein zweiter Schritt auf
der neuen Bahn hat eine umfassende Tragweite. Durch persönlichen
Verkehr mit französischen Bildhauern, die auf dem Gebiet der
Klein-Plastik jetzt tonangebende Meister in Frankreich sind, hat
Direktor Li chtw ark beginnen können, eine „Kollektion von
Plaketten und Medaillen" hier anzulegen, die in ihrer Vollendung
nicht einmal in Frankreich ihres Gleichen hat, in Deutschland
aber ein völlig Neues darstellt. Schon vor circa hundert Jahren
hat der Maler Louis David, der bekanntlich die ganze Kunst
auf das Vorbild der Antike zu stellen trachtete, den Ausspruch
gethan, „daß, wie einst Griechenland und Rom, so auch jetzt
Frankreich jede wichtige Begebenheit, jeden um das Vaterland
verdienten Mann, in Erz, in Form des Medaillons, verewigen
müsse!" Und dieser Ausspruch hat dort Wurzel gefaßt und ist
in reichem Maße zur Ausführung gekommen. Freilich standen
lange Zeit die Medailleure nicht auf der Höhe ihrer Ausgabe;

Hamburger Aunsthalle

als bedeutender Künstler trat aber z. B. Louis d'Angers
hervor, der auch in Deutschland seine Kunst (z. B. an einer
Göthc-Medaille) ausübte, und von dem die Kunsthalle
das Medaillon eines sehr bekannten Hamburger Architekten,
Friedrich Stammann, besitzt. Erst der Bildhauer Oudinü
faßte aber die ganze Aufgabe in echt künstlerischem Sinne auf
und unter seinem Einfluß und unter seiner Mitwirkung hat
dieser Kunstzweig die Richtung genommen, die wir schon jetzt
durch eine Fülle schöner Werke, welche uns die fortgehende Ent-
wicklung desselben deutlich vor die Augen stellen, hier vertreten
sehen. Die Namen Alphäe Dubais, Chapu, Henri Dubois, Chaplain
und Roth lassen sich als ebenso viele Stufen derselben bezeichnen. Eine
besondere Stellung außerhalb dieser Reihe nimmt derP ros. Legros
in London ein, der als Porträt-Radierer bekannt ist. Von
Werken des Vittore Pisano (gest. 1356) angeregt, hat er
eine Anzahl höchst interessanter Bildnisköpfe modelliert, deren in
Bronze gegossene Plakette wir hier besitzen: sie stellen von be-
rühmten Engländern Charles Darwin, John Stuart
Will, Thomas Carlyle, Alfred Tennyson dar, sind
alle höchst charakterisch aufgefaßt, aber durchaus malerisch be-
handelt. Ein Porträt der Maria Valoma gibt den über-
zeugendsten Beweis, wie sehr Pisano sein Vorbild gewesen.
Auf seine oben genannten französischen Landsleute hat er keinen
Einfluß geübt, sie sind, bis auf Roth, durch und durch Plastiker.
AlphseDubois' Plakette*) sind Originalein großem Maßstabe
und beweisen die Tüchtigkeit des Meisters. Sowohl die ganzen oft
allegorischen Figuren, die Musik, das Drama, die Geographie,
als auch die Bildnisse Pasteurs, Bequerels, Janssens und
Lvckyers sind mit dem eindringendsten anatomischen Verständnis,
mit feinem Geschmack und feiner Zeit entsprechender Auffassung
des Allegorischen gearbeitet. Er galt als angesehenster Medailleur
in Frankreich, namentlich als kein Studiengenosse in Rom,
Chapu, sich der monumentalen Plastik zugewendet hatte. Von
diesem ist ebenfalls eine reiche Sammlung sowohl von Plaketten als
Medaillen vorhanden. Er arbeitete in demselben Stil wie
A. Dubois, namentlich sind seine interessanten Porträts mit der-
selben Strenge der Zeichnung behandelt, welche die männlichen
Köpfe noch etwas hart erscheinen läßt, wenn man sie mit denen
der jüngsten Meister vergleicht. Wir nennen hier die Bildnisse
der Maler Schnetz, Bernard und Robert Flenry; von besonderer
Schönheit ist der Kopf von Alphöe Dubois. In den
weiblichen Köpfen tritt ganz entsprechend eine zartere Behand-
lung hervor, sowohl in den Porträts wie in den idealen Köpfen,
z. B. die „Mutter". Eine Allegorie „Paris überreicht dem
Heiland die Kirche zuni Herzen Jesu" überschreitet in der Figur
der Stadt Paris das Maß der Bewegung, welches für die
Plastik erlaubt erscheint. Wie hoch angesehen Chapu übrigens
war, tritt schon daraus hervor, daß A. Dubois ihm seinen
Sohn Henri Dubois zum Schüler gab. Wenn in denBild-
nissen dieses letzteren auch kaum ein wesentlich neues Moment
hervortritt, es sei denn, daß er, wie in dem Bildnis des Advo-
katen Aicard, wo er die Gerichtsrobe erkennen läßt, nach größerer
Realistik trachtet, so zeigt sich dieses in idealer Aufgabe ganz ent-
schieden. In dem Plakette, wo er „Mut und Hingebung"
feiert, ist der „Feuerwehrmann" treulich geschildert, wie der
„Soldat" in „Ehre und Vaterland" in voller Uniform erscheint.
Ein ganz neues Wesen offenbart sich dagegen in den Werken
Cha Plains (Mitgliedes der Akademie), der auf den Schultern
dieser Vorgänger steht und ihr Werk mächtig weiter bringt. Es
ist als ein wahres Glück zu bezeichnen, daß die Kunsthalle durch
das Entgegenkommen des Künstlers und die Mittel, welche die
Aberhoffsche Stiftung bereit gestellt hat, in den Besitz sämtlicher
Arbeiten dieses großen, noch in voller Wirksamkeit stehenden
Künstlers schon gekommen ist und ferner kommen wird, und zwar nicht
allein der Originale (Plakette), sondern auch der fertig gestellten
Medaillen. Eine Fülle der interessantesten Personen hat er
porträtiert und dabei eine Vollendung der Darstellung erreicht,
die kaum noch zu wünschen übrig läßt. Hier ist jede Herbigkeit
des Metalls überwunden, die Gesichtszüge der Dargestellten
sind in sicherster Form, aber mit einem Schmelz gegeben, der
das Fleisch fühlbar macht. Das Haar hat bei ihm die richtigste

*) Vielleicht ist es nicht unpassend, hier zu bemerken, daß man mit diesem
Namen, die im größeren Maßstabe modellierten, häufig in Bronze gegossenen
Originale bezeichnet, von welchen dann vermittelst des „Storchschnabels" im
Maße der gewollten Medaille die Form übertragen wird. Kleinere Medaillen
werden geprägt, größere, selbst in edlem Metall, auch gegossen.
 
Annotationen