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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Margitay, Desider: Die Auferstehung des Lazarus, [2]: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0402

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A;8


Die Auferstehung dcF Lazarus

Erzählung von Defider Margitay

(Fortsetzung)

^jsiladär verneigte sich zum zweitcnmale, allein dem müden

Ausdrucke seines Angesichtes sah man es an, daß
ihn die allzugroße Höflichkeit des jungen Mädchens be-
lästige. Madelaine achtete nicht auf ihn, sondern fuhr
unbehindert durch sein sprödes Schweigen fort:

— Ich beschäftige mich nämlich sehr gerne mit der
Phrenologie und Physiognomik. Diese beiden Wissen-
schaften jedoch können bezüglich Ihres Kopfes nicht einig
werden, sondern widersprechen einander.

Diesmal blickte Aladär ein wenig überrascht auf das
junge Mädchen.

— Dürfte ich wissen, worin dieser Widerspruch
liegt? fragte er.

— Sind Sie eitel?

— Ist es vielleicht die Phrenologie, welche mir
ähnliches nachsagt?

— Nein. Die Phrenologie stellt Sie als gründlich,
talentvoll, wenn auch ein wenig hartnäckig vor. Allein
die Physiognomik bezeichnet, Sie wären kokett, eitel und
launisch wie ein Weib.

Zum drittenmale verneigte sich Aladär, doch diesmal
nicht dem bloßen Gebote der Höflichkeit gehorchend, sondern
weil er empfand, daß seine Züge eine wärmere Färbung
annahmen und er nicht wollte, daß das junge Mädchen
dieselbe gewahre; dem Gespräche machte übrigens der
Eintritt des Hausherrn ein Ende, welcher, als er die
jungen Leute im Gespräch begriffen fand, heiter ausrief:

— Wie ich sehe, Kinder, habt Ihr bereits Bekannt-
schaft geschlossen? Um so besser! Ich werde auch in
Zukunft nicht allzuviel um Euch sein, denn mich nimmt
die Wirtschaft stark in Anspruch und ich weiß, daß Ihr
Euch so prächtig zanken werdet wie nur möglich. Schade,
daß ich es nicht mit anhören kann! . . . Sie müssen
nämlich wissen, mein lieber Herr Maler, daß meine
Tochter bis zum Exzeß gelehrt ist. Sie pflegt ihre Cour-
macher dadurch zur Flucht zu zwingen, daß sie ihnen
bezüglich ihres Wissens aus der Geo-, Philo- und noch
anderen „Logi" auf den Zahn fühlt. Die meisten, deren
Wissen in diesem Punkte ein sehr schwaches ist, halten
es nur kurze Zeit aus, und ergreifen bei erster Ge-
legenheit aufs schleunigste die Flucht.

Madelaine bemühte sich ein würdevolles Gesicht zu
machen und rief in vorwurfsvollem Tone:

— Aber Papa!

— Auf Eines muß ich Sie besonders aufmerksam
machen, — fuhr unbeirrt der alte Herr fort; — daß
Sie ihr ja nicht, wenn auch nur zufällig sagen, wie
schön sie sei. Denn dann hört sogleich alle Freundschaft
auf und Sie wären genötigt, die Züge einer bösen Hexe
auf die Leinwand zu werfen.

— Aber Papa!

— Das Fräulein hat vollkommen recht, wenn sie
nicht viel darauf gibt, daß man sie schön nennt, — warf
Aladär dazwischen; die weibliche Schönheit wird gewöhnlich
nach der Feinheit des Teints bewundert. Belieben Sie
jedoch den feinsten Teint durch ein Vergrößerungsglas
zu betrachten: Sie würden sich vor den weißen Schuppen
entsetzen, aus denen dieser feine Teint, diese zarte Haut
zusammengesetzt sind. Alles ist nur Schein und Illusion
unter der Sonne!

Onkel Lenczi warf unter seinen buschigen Angen-
brauen einen seltsamen Blick auf Aladär, während Madelaine
einen Moment erstaunt und beinahe verblüfft den gleich-
gültig dastehenden jungen Mann ansah. Dann fing der
alte Herr plötzlich zu lachen an und machte den Vorschlag,
schnell zu Tische zu gehen, damit der Thee nicht ganz
kalt werde.

Das Gespräch drehte sich um ganz gleichgültige Dinge,
allein die beiden jungen Mitglieder der Gesellschaft waren
nur halb mit dabei. Mehr als einmal blickten sie sich ver-
stohlen an, und wenn dann ihre Blicke sich trafen, so
wendeten sie dieselben nicht Plötzlich und errötend ab,
sondern schauten sich tiefer und kalt ins Auge als wollten
sie sagen:

— Wenn wir allein sein werden, so will ich dir
schon bezahlen, was ich dir noch schuldig geblieben bin!

Jawohl, sie bereiteten sich zum Kampfe vor, ohne
sich dessen auch nur bewußt zu sein. Bekanntermaßen
pflegt aber ein solcher Kampf nur zwischen Parteien zu
entstehen, welche sich für einander interessieren. Wenn
aber Jemand sich gefunden hätte, der ihnen dies klar-
legen wollte, so würden sie ihn mit einem geringschätzenden
Lächeln beehren. Denn wenn Aladär durch Erkenntnis
der Welt „vom Grunde aus" dahin gelangt war, Alles
für Schein und Illusion zu halten, so blieb auch Madelaine
nicht weit hinter ihm zurück. Wahr ist es schon, sie hatte
die Welt nicht so „gründlich" kennen gelernt, wie Aladär,
allein als einzige Tochter eines sehr reichen Mannes be-
suchte sie alle erdenklichen Mädchenschulen, studierte in
denselben Astronomie, Chemie, Physiologie und erfuhr auf
solche Weise, daß der blaue Himmel ein Chimäre sei,
und daß überall der Stoff walte, daß das Herz nicht
etwa das warme Nest für freudige Empfindungen und
für Liebe sei, sondern nur eine Fleischmasse von einem
gewissen Gewichte. Als sie all dies erlernt hatte, kam
sie heim und hielt sich für ein gebildetes Mädchen, worauf
sie sich auch nicht wenig einbildete. Im Stillen empfand
sie jedoch, daß ihr dennoch etwas fehle, und als kluges
Mädchen entdeckte sie alsbald den Mangel und machte
sich daran, diese Lücke in ihrer Bildung zu ergänzen.
 
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