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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Pecht, Friedrich: Die Münchener internationale Ausstellung von 1892, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0429

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ÄHg Die Münchener internationale Ausstellung von z8I2

aber erfreulich wahr mutet dann die „Taufe" von Brack an
(siehe H. 19). Gelungen ist auch ein träumender Backfisch von
Hugo König oder Gysis' griechische St. Nikolausfeier, wo
die Kinder, ganz wie bei uns, durch Verkleidete erschreckt
werden und wo man besonders die Schönheit der Rasse be-
wundert, endlich Jakobides' „erster Schritt" (siehe H. 18).
Kühl giebt dann Mädchen auf dem Kirchenchor singend gm
charakterisiert aber ganz Haltungslos wieder. Andres bringen
Schlesinger, Paul Wagner und sehr liebenswürdig
Raupp auf seiner Heimfahrt der Kinder nach Frauen-
Chiemsee. Wilh. Volz giebt die Kinderpredigt vor der
Krippe in der Kirche Aracoeli in Rom leider zu skizzenhaft
und gerade in der Charakteristik der Kleinen vernachlässigt.
Ebenso fein studiert als ergreifend ist dagegen Walter Firles
Genesende im Frühlingssonnenschein des Hausgartens, die
wohl liebeskrank gewesen. Mehr oder weniger humoristische
Bilder bringen dann Schachinger in seinen Kaffeeschwestern,
Munsch in seinen reizenden Kabinetbildern von Gelehrten in
der Bibliothek (siehe auf Seite 257) und einem mit seinem
Kanzler sich verständigenden Prälaten, Kronberger mit
Bauer und Zeitungsleser, Mathias Schmid mit seiner
Spielwarenhändlerin, die einem jungen Burschen ein Wickel-
kind anbietet, Schmid-Breitenbach mit seinem sehr stolz
von der Taufe des Erstlings kommenden jungen Ehemann,
Schwabenmajer mit einem verstohlen rauchenden Buben,
Kotschenreiter, Th. Schmidt, Falkenberg, Gaisser,
Eberle mit glücklich erfundenen Sujets. Auch an Bildern
mit tragischem Inhalt fehlt es nicht; eines der erschütterndsten
istDieffenbachers Wilderer (siehe auf Seite 284), den man
erschossen im Abenddunkel der armen Frau vors Haus bringt.
Hier ist die düstere, unglückverkündende Stimmung vortrefflich
beobachtet, wie auch bei Neuhaus' Übersetzung des barm-
herzigen Samariters ins Moderne, wo derselbe einen Halb-
erfrorenen im Schnee findet, oder bei Hausmanns „kein Hüsung", einem armen Weib, das im Walde
obdachlos mit ihrem Säugling niedergesunken. Noch feiner ist Haugs „Verlassene", die im Morgengrauen
weinend zum Brunnen schleicht, offenbar dem alten Volkslied „Jetzt gang i ans Brünnele" nachgebildet.
Bachmann, einer der in ganz besonderem Gemach versammelten Düsseldorfer Sezessionisten, führt uns dann
einen auf seinem Heuschlitten, entsetzt den Abgrund vor sich sehend, Abfahrenden vor. Eines der wirksamsten
dieser Gemälde ist jedenfalls Vautiers „Verlassen", wo ein alter Bauer durch einen Brief die Nachricht erhält,
daß seine Tochter mit ihrem in der Wiege schlummernden Kind vom Manne treulos verlassen worden. Zeigt
das Bild auch leise Spuren des Alters, so ist doch die Komposition klar und erschütternd genug, die Aus-
führung von großer Feinheit. — Das größte Meisterstück in Bezug auf Seelenmalerei ist übrigens doch
Direktor v. Löfftz' alte Frau (siehe Heft 17), die am Sonntagmorgen ganz allein zu Hause geblieben, statt der
Predigt in ihrem Gebetbuch liest. Das kluge und wohlwollende Gesicht der sonntäglich aufgeputzten Frau zeigt
uus eine wahre Musterbäuerin voll Pflichtgefühl und schlichter Frauenwürde, so echt altbayerisch, wie man nur
wünschen mag. Dabei ist alles mit solcher Meisterschaft gemacht, daß man das Bild ruhig neben jedem Dow
oder Mieris hängen könnte, die es an geistigem Gehalt jedenfalls übertrifft. Solcher Bilder, die uns vor
allem durch ihre spezifisch künstlerischen Reize fesseln, haben wir noch mehrere, wie zwei von Bochmann in
Düsseldorf, das erste bloß ein esthnisches Bauernfuhrwerk, aber mit vollendeter Meisterschaft zeigend, das zweite
einen Rain mit Schafen, ferner Anton Seitz' politisierende Philister, ebenso reizend gediegen in der Ausführung
als trefflich in der Charakteristik, oder Holmbergs alter Prälat am Fenster, der einem Geistlichen zuhört,
voll Geist bei vollendeter Durchbildung.

Übersieht man aber diesen ganzen Reichtum, mit dem unsre Kunst das nationale Leben nach fast
allen Seiten geschildert, so kann man wohl behaupten, daß ihr hier die keines andern Volkes, weder in der
grenzenlosen Mannigfaltigkeit, noch in der schlichten Wahrheit gleichkomme. Den Deutschen muß eben auch in
der Kunst die Ehrlichkeit viele andre Tugenden ersetzen und thut es auch, obwohl ihnen die Leichtigkeit und
die geistreiche Pinselführung der romanischen Nationen selten innewohnt. Pedantisch und eigensinnig, wie wir

Im Walde. Von Wenzel Wirk» er

VI. Internationale Kunstausstellung I892 zu München
 
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