Christa Hatvany-Winsloe I
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Alt-Heidelberg auf der Pariser Bühne.
Zu allen Zeiten hat unser Studententum auf die Pariser, insbesondere auf
Pariser Literaten und Dramendichter, eine gewisse Anziehungskraft ausgeübt.
Sie verstanden es nicht, können es auch nicht verstehen, und darin hauptsächlich
liegt der Reiz, den es ausübt. Sie verstehen nicht den transzendentalen Ulk unsrer
Kommerslieder, die Mischung von Tiefsinn und höchster Banalität, das vielfache
Übergehen des Studentenliedes in das Volkslied, um so weniger, weil die Fran-
zosen eigentliche Volkslieder kaum noch haben. Sie sehen das vielleicht mit
einem gewissen Neid und mit der Rückerinnerung an alte, längst vergangene
Zeiten ihres eignen Volkstums ... Zu solchen Betrachtungen regte einen auch die
Aufführung von Alt-Heidelberg von Meyer-F örster an, das gegen-
wärtig auf dem Pariser Theater der Porte Sit. Martin aufgeführt wird und
beim Pariser Publikum viel Beifall findet. Vieil Heidelberg! Ein deutsches Ohr
berührt’s komisch, wenn drinnen das Gaudeamus erschallt und unsre stimmungs-
vollen Studentenlieder, und wenige Schritte entfernt dringt durch die geöffneten
Fenster des Foyers der volle Lärm der großen Boulevards herein, mit ihrem
Heerzug von Menschen, Wagen und ratternden Autos. Doch das Pariser Leben
hat andre Gegensätze. Unser gutes Studenten-Spektakelstück mit dem edlen und
melancholischen Karlheinz (wir denken deiner noch mit Rührung, Harry Wal-
den!) ist von den Herren Remon und Bauer übersetzt und bearbeitet worden.
Man kann nicht sagen, daß die Übersetzung schlecht ist, soweit unsre Erinne-
rung an das Original, die nun auch weit zurückliegt, noch vorhält. Und die
Aufführung war, wenn man sich das Stück geistig ins Französische übertragen
vorstellt — was gar nicht so schwer ist — sogar gut. Karlheinz hatte etwas Deka-
dentes und etwas allzu Schülerhaftes bekommen, und an den verführerischen
Schwerenöter Harry Walden durfte man dabei nicht denken. Dagegen traf er
sehr gut die rednerischen und die sentimentalen Wirkungspunkte seiner Rolle,
und im dritten Akt, als er von der Jugend sprach, die man ihm gestohlen habe,
gab es sogar Beifall bei offener Szene. Man darf nicht vergessen, daß die
Franzosen für alle sentimentalen Wirkungen auf der Bühne ungeheuer empfäng-
lich sind, und daß das Stück deren eine ganze Menge hat . . . Gewiß das Sehens-
werteste für den deutschen Zuschauer waren die Studentenchöre und Gesänge
des zweiten Aktes. Sie waren musikalisch nicht schlecht, und gut einstudiert.
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Alt-Heidelberg auf der Pariser Bühne.
Zu allen Zeiten hat unser Studententum auf die Pariser, insbesondere auf
Pariser Literaten und Dramendichter, eine gewisse Anziehungskraft ausgeübt.
Sie verstanden es nicht, können es auch nicht verstehen, und darin hauptsächlich
liegt der Reiz, den es ausübt. Sie verstehen nicht den transzendentalen Ulk unsrer
Kommerslieder, die Mischung von Tiefsinn und höchster Banalität, das vielfache
Übergehen des Studentenliedes in das Volkslied, um so weniger, weil die Fran-
zosen eigentliche Volkslieder kaum noch haben. Sie sehen das vielleicht mit
einem gewissen Neid und mit der Rückerinnerung an alte, längst vergangene
Zeiten ihres eignen Volkstums ... Zu solchen Betrachtungen regte einen auch die
Aufführung von Alt-Heidelberg von Meyer-F örster an, das gegen-
wärtig auf dem Pariser Theater der Porte Sit. Martin aufgeführt wird und
beim Pariser Publikum viel Beifall findet. Vieil Heidelberg! Ein deutsches Ohr
berührt’s komisch, wenn drinnen das Gaudeamus erschallt und unsre stimmungs-
vollen Studentenlieder, und wenige Schritte entfernt dringt durch die geöffneten
Fenster des Foyers der volle Lärm der großen Boulevards herein, mit ihrem
Heerzug von Menschen, Wagen und ratternden Autos. Doch das Pariser Leben
hat andre Gegensätze. Unser gutes Studenten-Spektakelstück mit dem edlen und
melancholischen Karlheinz (wir denken deiner noch mit Rührung, Harry Wal-
den!) ist von den Herren Remon und Bauer übersetzt und bearbeitet worden.
Man kann nicht sagen, daß die Übersetzung schlecht ist, soweit unsre Erinne-
rung an das Original, die nun auch weit zurückliegt, noch vorhält. Und die
Aufführung war, wenn man sich das Stück geistig ins Französische übertragen
vorstellt — was gar nicht so schwer ist — sogar gut. Karlheinz hatte etwas Deka-
dentes und etwas allzu Schülerhaftes bekommen, und an den verführerischen
Schwerenöter Harry Walden durfte man dabei nicht denken. Dagegen traf er
sehr gut die rednerischen und die sentimentalen Wirkungspunkte seiner Rolle,
und im dritten Akt, als er von der Jugend sprach, die man ihm gestohlen habe,
gab es sogar Beifall bei offener Szene. Man darf nicht vergessen, daß die
Franzosen für alle sentimentalen Wirkungen auf der Bühne ungeheuer empfäng-
lich sind, und daß das Stück deren eine ganze Menge hat . . . Gewiß das Sehens-
werteste für den deutschen Zuschauer waren die Studentenchöre und Gesänge
des zweiten Aktes. Sie waren musikalisch nicht schlecht, und gut einstudiert.
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