Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 5.1925

DOI Artikel:
Schewireff, Stephan: Unbekanntes über Balzac
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.63706#1321

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
UNBEKANNTES UBER BALZAC
Von
STEPHAN SC HE WIREFF
Diese sowohl in der französischen wie deutschen Literatur-
geschichtsschreibung unbenutzt und unbekannt gebliebenen
Balzac-Erinnerungen entnehme ich zwei alten Zeitschriften:
„Deutsche Theeblätter“, München 1839, und „Deutsche Blätter
für Literatur und Leben“, München 1840, die F. v. Elsholtz
herausgegeben hat. Schewireff, der als Professor der Literatur-
geschichte in Moskau wirkte, hatte sich durch seine „Vor-
lesungen über die alte russische Literatur“ einen Namen
geschaffen. Seine Glaubwürdigkeit ist also verbürgt. Der
Besuch fand 1839 statt, wie aus der Erwähnung des Balzac-
sehen Romans „Un grand homme de province“, der 1839
erschien, hervorgeht. Die erwähnte Reise nach Rußland hat
der Dichter tatsächlich 1840 angetreten.
Dr. Hermann Ammon.
Durch Vermittelung des Verlegers meldet sich Schewireff brieflich bei
Balzac an und erhält darauf folgende Antwort:
„Bis zum nächsten Mittwoch bleibe ich auf dem Lande, wo ich die
Ehre haben werde, Sie zu empfangen! Sie gehören einem Lande,
welches große Ansprüche an meine Achtung und Bewunderung hat. Ich
glaube, daß Sie von daher kommen usw. Balzac.“
Den Morgen nach Empfang dieses Briefchens nahm ich einen Miet-
wagen und fuhr aufs Land zu Herrn von Balzac.
Ich komme zu dem großen Tor und lese darüber: „Aux Jardies“. Das
bestätigt mir, daß ich mich nicht getäuscht habe. Ich trete durch das
Fußgängerpf Örtchen in einen offenen Hof, in dessen Mitte das Haupt-
gebäude steht, das zur Linken einen Flügel hat. Zwei Männer gehen auf
dem Hofe umher. — Etwas ferner ein junger Mensch mit langen Haaren,
im Oberrocke, mit bloßem Kopf und Hals; näher ein älterer mit einem
Strohhut, im weißen, langen Oberrocke aus Kanevas, der sich um eine
ziemliche Beleibtheit weit auseinanderschlägt. Unter dem Hut blitzen
die schwarzen, durchdringenden Augen und glühen die vollen rosigen
Wangen eines Antlitzes hervor, das die ländliche Tätigkeit sonnen-
versengt hat. Einige Arbeiter rühren sich auf dem Hofe. Ich wende
mich zu dem Oberrock aus Kanevas mit der Frage: „Wohnt hier Herr
von Balzac?“ — Die Antwort ist: „Ich bin es, mein Herr.“
Nun wandte sich meine ganze Aufmerksamkeit vom weißen Oberrocke
aus Kanevas auf die lebhafte, ausdrucksvolle Gesichtsbildung des Schrift-
stellers, der vor mir in seinem ländlichen Morgenkleide stand, als Grund-
besitzer mit Anordnung seines Hauses beschäftigt. Nicht in seinem
Besuchszimmer, nicht in seinem Kabinett, nicht mit der Feder in der
Hand, sondern in dem Tummeln und Sorgen des tätigen Lebens hatte ich
ihn angetroffen, das er selbst so geschickt beschreibt.

881
 
Annotationen