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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Orloff, Ida [Übers.]: Russisches Theater, 1, Theater im Wirtshaus
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Tairov, Aleksandr Ja.: Russisches Theater, 2., Aufgaben der Tairoff-Bühne, zur Inszenierung von Ostowskijs "Gewitter" im Moskauer Kammertheater
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#0604

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1 Unmöglichkeit, ebenso wie auch der Wechsel von Dekorationen fortfallen muß.
Eine originelle dekorative Einzelheit ist die Verwendung von Aufschriften, die
nicht bloß dem Zweck der Erläuterung dienen, sondern auch in der Komposition
des Bühnenbildes ihre Rolle zu spielen haben. Fast alle Darbietungen werden
von Musik begleitet. Oft bedient man sich alter Melodien, nach denen die neuen
Texte leichter im Gedächtnis haften bleiben, aber manchmal stößt man auch auf
originelle neue Musik. „Die blaue Bluse“ des „Mosselprom“ umfaßt drei Arten
von Vorführungen: Agitationsstücke aus dem politischen Leben, „Tschastuschki“
(Couplets in volkstümlicher Art) aus dem Volksleben, und die Erzählungen des
Conferenciers, die ebenfalls ähnliche Themen behandeln. „Die blaue Bluse“
reagiert sofort auf jede aktuelle Frage. Jede Agitations-Kampagne zur Durch-
führung dieser oder jener Maßregel findet ihren Widerhall in dem Tätigkeitsfeld
der „Blauen Bluse“. Wird auf der Weltbühne die chinesische Frage aufge-
worfen, so ergeht hier, irgendwo im Krasno-Prjesnenski-Bezirk oder im Sämoskwo-
rj^tschie, in der Bierstube durch die Schauspieler der Aufruf: „Hände weg von
China“, und in leicht anschaulicher Form schließen sich Erläuterungen an.
Die in kurzen Theaterstücken berührten Fragen des inneren Volkslebens sind
gleichfalls von großer Bedeutung: „Die Produktivität der Arbeit“, „Die Ge-
werkschaft“, „Die Ausrottung des Analphabetentums“ usw. Mit einem Wort, es
gibt kaum noch ein Thema von größerer oder geringerer Bedeutung, das „Die
blaue Bluse“ des „Mosselprom“ nicht auf die Bühne gebracht hätte, und worüber
nachzudenken sie ihren Besuchern nicht Veranlassung gegeben hätte.
Die Sowjets machen sich in ihrer aufbauenden Kulturarbeit die Technik der
bürgerlichen Kultur zunutze, indem sie sie ihren Zwecken dienstbar machen. Das
alte Caf£-Chantant, dessen Bestimmung es war, einem übersättigten Publikum
als Nervenkitzel zu dienen, hat in Rußland ausgespielt; in der Bierstube, wo
der Arbeitende ausspannt, findet er ein buntes, interessantes Theater voll ernsten
Lebenssinnes, das ihn über alle Fragen der Gegenwart, die ihn beschäftigen,
in anschaulicher Weise aufklärt. (Deutsch von Ida Orloff.)
AUFGABEN DER TAIROFF-BUH NE
(Zur Inszenierung von Ostrowskijs „Gewitter“ im Moskauer Kammertheater.)
Von
ALEXANDER TAIROFE
Mit der Aufführung von Ostrowskijs „Gewitter“ hat das Moskauer Kammerthea-
ter die einmal eingeschlagene Linie, nämlich die Pflege der Tragödie, fort-
geführt, und zwar mit einem Material, das infolge der eigenartigen Brechung der
Tragödie in diesem Stück unseres besten russischen Dramatikers die größten
Möglichkeiten für Grenzleistungen in der Gestaltung der emotionellen Probleme
bietet, die augenblicklich das stärkste Interesse des Kammertheaters bilden.
Ostrowskij nannte dieses Werk Drama. Aber seiner Struktur und seinem
Maßstabe nach trägt „Das Gewitter“ die echten Elemente wirklicher Tragik in
sich. Das sogenannte „Byt* (Milieu im materiellen wie im ideellen, im engeren
wie auch im weitesten Sinne. Anm. des Übers.) wird im „Gewitter“ wesentlich
zum Schicksal. Doch es ist dies nicht das unsichtbare Schicksal der antiken
griechischen Tragödie, es ist vielmehr ein reales, in den handelnden Personen des
Stückes — hauptsächlich in den Gestalten des Dikoi und der Kabanicha — ver-
körpertes und beseeltes Schicksal.

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