1 e t i s c h, knochenkräftig, schlank und muskelderb — oder sie ver-
raten die Disharmonik ihrer inneren Anlage auch in mannigfachen
„dysplastischen“ Unebenmäßigkeiten ihres körperlichen Aufbaus. —
Schiller, Platen, Hölderlin — Robespierre, Calvin, Savonarola. —
„Geprägte Form, die lebend sich entwickelt“. Eine feste Formung
bestimmter Seelen in bestimmten Körpern. Bürger und Heroen,
Gesunde und Wahnsinnige dieselben naturgesetzlichen Motive vari-
ierend, die aus dem dunklen Grunde des Lebens aufsteigen, jeder nach
den Urworten des Goetheschen Dämon in der Bahn seiner Gestirne
das Gesetz erfüllend, wonach er angetreten. Wir können uns die ge-
prägte Form unseres Seins nicht wählen. — Und wenn der Schmale,
Zarte und seelisch Gespaltene mit Bedauern, Sehnsucht und ein wenig
Verachtung hinüberblickt nach den naiven Erdenfreuden des Pyk-
nikers — und wenn der rundliche Humor des Wirklichkeitsmenschen
schmunzelnd die Achseln zuckt über den Fremden und Seltsamen, der
nicht lachen und weinen kann, dessen Leiden und Schwäche er nicht
fühlt und dessen erhabene Größen er von ferne bewundert:
Sie verstehen sich nicht, sie wollen jeder die Wonne und die
Bitterkeit ihrer eigenen Anlage selbst durchleben; und wenn sie
anders wollten, so könnten sie es nicht; sie drehen sich alle wie die
Planeten um das Schicksal, das sie geformt hat, und um sich selbst,
um die große, feste Synthese ihres körperlichen und seelischen Seins.
Nicht starr, aber geprägt, zielstrebig in lebender Entwicklung.
DIE PFEIFE „E. X. f
Von
ILJA EHRENBURG
Wer sich einbildet, eine neue Pfeife einzurauchen sei nicht schwerer als
etwa ein neues Haus trockenzuwohnen, der irrt sich. Das letztere kann
jeder, abgesehen vielleicht von einem Rheumatiker. Eine Pfeife einrauchen
können —- das ist nur wenigen gegeben. Keinerlei gedruckte Traktate, keine geist-
reichen Anweisungen seitens der Herren Tabakgrossisten sind hier imstande,
fehlende Begabung zu ersetzen. — Wenn der Säugling in der Wiege ruhig mit
dem Rasselchen spielt — dann ist er prädestiniert. — Wenn er jedoch grundlos
weint, lacht, in die Händchen patscht, Fliegen zu fangen versucht und dabei
aus der Wiege purzelt, kurz, wenn er sich als ein noch unentfaltetes Bündel
menschlicher Leidenschaften geriert, so sollte man ihn besser von vornherein davor
bewahren, ein echter Pfeifenraucher werden zu wollen. Man läßt die Versuchung
gar nicht erst an ihn herankommen und drückt ihm beim Verlassen der Vorschule
ein Damen-Zigaretten-Etui mit parfümierten Liliput-Zigaretten in die Hand. Denn
wer eine Pfeife zwischen die Zähne nehmen will, der muß über die höchsten
Tugenden verfügen: die Leidenschaftslosigkeit eines Heerführers, die Schweig-
samkeit eines Diplomaten und die Kaltblütigkeit eines Falschspielers. —
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raten die Disharmonik ihrer inneren Anlage auch in mannigfachen
„dysplastischen“ Unebenmäßigkeiten ihres körperlichen Aufbaus. —
Schiller, Platen, Hölderlin — Robespierre, Calvin, Savonarola. —
„Geprägte Form, die lebend sich entwickelt“. Eine feste Formung
bestimmter Seelen in bestimmten Körpern. Bürger und Heroen,
Gesunde und Wahnsinnige dieselben naturgesetzlichen Motive vari-
ierend, die aus dem dunklen Grunde des Lebens aufsteigen, jeder nach
den Urworten des Goetheschen Dämon in der Bahn seiner Gestirne
das Gesetz erfüllend, wonach er angetreten. Wir können uns die ge-
prägte Form unseres Seins nicht wählen. — Und wenn der Schmale,
Zarte und seelisch Gespaltene mit Bedauern, Sehnsucht und ein wenig
Verachtung hinüberblickt nach den naiven Erdenfreuden des Pyk-
nikers — und wenn der rundliche Humor des Wirklichkeitsmenschen
schmunzelnd die Achseln zuckt über den Fremden und Seltsamen, der
nicht lachen und weinen kann, dessen Leiden und Schwäche er nicht
fühlt und dessen erhabene Größen er von ferne bewundert:
Sie verstehen sich nicht, sie wollen jeder die Wonne und die
Bitterkeit ihrer eigenen Anlage selbst durchleben; und wenn sie
anders wollten, so könnten sie es nicht; sie drehen sich alle wie die
Planeten um das Schicksal, das sie geformt hat, und um sich selbst,
um die große, feste Synthese ihres körperlichen und seelischen Seins.
Nicht starr, aber geprägt, zielstrebig in lebender Entwicklung.
DIE PFEIFE „E. X. f
Von
ILJA EHRENBURG
Wer sich einbildet, eine neue Pfeife einzurauchen sei nicht schwerer als
etwa ein neues Haus trockenzuwohnen, der irrt sich. Das letztere kann
jeder, abgesehen vielleicht von einem Rheumatiker. Eine Pfeife einrauchen
können —- das ist nur wenigen gegeben. Keinerlei gedruckte Traktate, keine geist-
reichen Anweisungen seitens der Herren Tabakgrossisten sind hier imstande,
fehlende Begabung zu ersetzen. — Wenn der Säugling in der Wiege ruhig mit
dem Rasselchen spielt — dann ist er prädestiniert. — Wenn er jedoch grundlos
weint, lacht, in die Händchen patscht, Fliegen zu fangen versucht und dabei
aus der Wiege purzelt, kurz, wenn er sich als ein noch unentfaltetes Bündel
menschlicher Leidenschaften geriert, so sollte man ihn besser von vornherein davor
bewahren, ein echter Pfeifenraucher werden zu wollen. Man läßt die Versuchung
gar nicht erst an ihn herankommen und drückt ihm beim Verlassen der Vorschule
ein Damen-Zigaretten-Etui mit parfümierten Liliput-Zigaretten in die Hand. Denn
wer eine Pfeife zwischen die Zähne nehmen will, der muß über die höchsten
Tugenden verfügen: die Leidenschaftslosigkeit eines Heerführers, die Schweig-
samkeit eines Diplomaten und die Kaltblütigkeit eines Falschspielers. —
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