GUILLAUME APOLLINAIRE
Von
ROCH GREY
Madame de Kostrovitzki hinterließ der Nachwelt das nicht zu
lösende Rätsel ihrer Herkunft. Sie bekannte sich, obwohl katho-
lisch, zur russischen Nationalität, sprach aber ihre Muttersprache mit
einem ausgesprochen fremdländischen Akzent, und ihr feinziseliertes
Gesicht trug die Züge der schönen Frau aller Länder.
Man weiß, daß sie aus jenem Teile Polens kam, der vor der Union
von Horodlo (1413) jenes unabhängige und barbarische Gebiet bildete,
das den Namen Litauen erhielt. Aber niemand kennt alle Wandlungen
ihres bewegten Lebens. Sie hielt sich in Rom auf, wo ihre beiden Söhne,
Guillaume und Albert, geboren wurden, in Monte Carlo, dem Zentrum
des Luxus und der Abenteuer, wo die Kinder eine sehr sorgfältige Er-
ziehung erhielten. Ihr Geburtsschein trägt nur den Namen der Mutter,
dieser außerordentlich tapferen Frau, die, ebenso hingebend wie schön,
von den Knaben jene Verwahrlosung fernhielt, denen sonst arme Kinder
ausgesetzt sind.
Guillaume Apollinaire als Schüler gleicht in seinem gutsitzenden Anzug
mit einem zierlichen Kragen durchaus dem Kinde reicher Eltern, das
gegen die Hinterhältigkeiten des mondänen Lebens mit dem nötigen
Rückgrat ausgestattet ist.
Die Kindheit und die ersten bewußten Jugendjahre verbrachte Guil-
laume Apollinaire im Gebiet von Monaco, am Ufer des Mittelländischen
Meeres, und der Stempel dieses Aufenthaltes gab seinem Geiste jenen
besonderen, der lateinischen Rasse eigenen Glanz und wirkte abstumpfend
auf das slawische Erbe. Von der Höhe der Felsen von Monaco sieht man
weit auf das Meer hinaus; der Blick forscht in die Ferne und sucht die
von den Wellen hinausgetragene Erde, die als zerstreute Inseln sonnen-
beschienenen Blumenkronen gleicht: sucht die erinnerungsreichen Länder
Italien und Griechenland zu erraten. Der junge Mann, den die Um-
stände zum klassichen Studium zwingen, findet Geschmack daran und
vertieft sich entzückt in die großen Geister der Vergangenheit, jener
Vergangenheit, die die Ufer des Mittelländischen Meeres beherrschte.
Verliebt in die Sonne, in ein Land, das in seiner Phantasie den Zauber
einer ewigen Jugend schuf, wählt Guillaume de Kostrovitzki ein Pseu-
donym, das allein den Zustand seiner jugendlichen Seele genau
bezeichnete.
Nicht im Kalender unter den heilig gesprochenen Greisen, den jugend-
lichen Märtyrern oder den barmherzigen Frauen, noch in Erinnerung
der Philosophen und Dichter des Altertums hatte er ihn gefunden.
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Von
ROCH GREY
Madame de Kostrovitzki hinterließ der Nachwelt das nicht zu
lösende Rätsel ihrer Herkunft. Sie bekannte sich, obwohl katho-
lisch, zur russischen Nationalität, sprach aber ihre Muttersprache mit
einem ausgesprochen fremdländischen Akzent, und ihr feinziseliertes
Gesicht trug die Züge der schönen Frau aller Länder.
Man weiß, daß sie aus jenem Teile Polens kam, der vor der Union
von Horodlo (1413) jenes unabhängige und barbarische Gebiet bildete,
das den Namen Litauen erhielt. Aber niemand kennt alle Wandlungen
ihres bewegten Lebens. Sie hielt sich in Rom auf, wo ihre beiden Söhne,
Guillaume und Albert, geboren wurden, in Monte Carlo, dem Zentrum
des Luxus und der Abenteuer, wo die Kinder eine sehr sorgfältige Er-
ziehung erhielten. Ihr Geburtsschein trägt nur den Namen der Mutter,
dieser außerordentlich tapferen Frau, die, ebenso hingebend wie schön,
von den Knaben jene Verwahrlosung fernhielt, denen sonst arme Kinder
ausgesetzt sind.
Guillaume Apollinaire als Schüler gleicht in seinem gutsitzenden Anzug
mit einem zierlichen Kragen durchaus dem Kinde reicher Eltern, das
gegen die Hinterhältigkeiten des mondänen Lebens mit dem nötigen
Rückgrat ausgestattet ist.
Die Kindheit und die ersten bewußten Jugendjahre verbrachte Guil-
laume Apollinaire im Gebiet von Monaco, am Ufer des Mittelländischen
Meeres, und der Stempel dieses Aufenthaltes gab seinem Geiste jenen
besonderen, der lateinischen Rasse eigenen Glanz und wirkte abstumpfend
auf das slawische Erbe. Von der Höhe der Felsen von Monaco sieht man
weit auf das Meer hinaus; der Blick forscht in die Ferne und sucht die
von den Wellen hinausgetragene Erde, die als zerstreute Inseln sonnen-
beschienenen Blumenkronen gleicht: sucht die erinnerungsreichen Länder
Italien und Griechenland zu erraten. Der junge Mann, den die Um-
stände zum klassichen Studium zwingen, findet Geschmack daran und
vertieft sich entzückt in die großen Geister der Vergangenheit, jener
Vergangenheit, die die Ufer des Mittelländischen Meeres beherrschte.
Verliebt in die Sonne, in ein Land, das in seiner Phantasie den Zauber
einer ewigen Jugend schuf, wählt Guillaume de Kostrovitzki ein Pseu-
donym, das allein den Zustand seiner jugendlichen Seele genau
bezeichnete.
Nicht im Kalender unter den heilig gesprochenen Greisen, den jugend-
lichen Märtyrern oder den barmherzigen Frauen, noch in Erinnerung
der Philosophen und Dichter des Altertums hatte er ihn gefunden.
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