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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Hau, Carl: Minna von Barnhelm im Zuchthaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#1334

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MINNA VON BARNHELM IM ZUCHTHAUS
Von
DR. CARL HA U
Rechtsanwalt Dr. Carl Hau wurde auf Grund eines Indi-
zienbeweises im Jahre 1907 wegen Mordes zum Tode ver-
urteilt und zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt. Nach
siebzehn Jahren wurde er entlassen. Die Strafanstalt hat seine
körperlichen und geistigen Kräfte nicht zu brechen vermocht.
Er veröffentlicht unter dem Titel „Lebenslänglich“ im Ver-
lage Ullstein eine Darstellung seiner Erlebnisse im Zucht-
hause, der wir den folgenden Abschnitt entnehmen. Er han-
delt von dem Unterricht, der den Gefangenen regelmäßig er-
teilt wird.
Ks wird „Minna von Barnhelm“ gelesen, die Szene im ersten Akt
zwischen dem Wirt und Just. Die Gefangenen haben mehr Sympathie
für den Spitzbuben von Wirt, der Lehrer lobt den etwas rauhen, aber
ehrlichen und treuen Charakter des Dieners. Es dauert nicht lange, so
entbrennt ein Gefecht zwischen dem redegewandtesten der Schüler, der
sich zum Wortführer auf wirft für die anderen, und dem Mann auf dem
Katheder.
Der Schüler: „Was ist das für ein miserabler Kerl, dieser Just, der
vor seinem Herrn kriecht wie ein Hund.“
Der Lehrer: „Treue im Dienst, Anhänglichkeit an den selbstgewählten
Herrn, war von jeher eine der edelsten Eigenschaften der germanischen
Rasse. Schon eines der ältesten literarischen Denkmäler unseres Volkes,
das Nibelungenlied, ist eine Verherrlichung dieser Mannestreue. Treue
bis zum Tode, was kann es Schöneres geben?“
’ Der Schüler: „Das muß ein rechter Dummkopf sein, der für einen
anderen in den Tod geht. Mir ist das Hemd näher als der Rock. Der
Just hängt nur darum so an dem Major, weil er ein Vieh ist ohne Ver-
stand. Da ist der Wirt doch ein anderer Kerl, der weiß, wie man
die Menschen zu nehmen hat. Darum hat er’s auch zu was gebracht in
der Welt.“'
Der Lehrer: „Jawohl, zum Spitzbuben und Lügner. Ein würdiger Ver-
treter seines Standes.“
Hier mischt sich ein anderer Gefangener in die Debatte ein und er-
hebt Einspruch gegen eine solche Verunglimpfung eines Standes, dem
anzugehören er die Ehre habe. Daß alle Wirte Spitzbuben und Lügner
'seien, könne nur ein ganz einseitiger, weltfremder Schulmeister be-
haupten. Auch unter den Wirten gäbe es Ehrenmänner. Er spricht es
mit Freimut aus, daß er sich selber für einen solchen halte. Denn
er sei weder ein Spitzbube noch ein Lügner, sondern sitze nur wegen
Blutschande, was jedem passieren könne. Der Lehrer verbittet sich die
Bezeichnung als pp. Schulmeister und bemerkt im übrigen, daß Aus-

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