Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 5.1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#1541
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Gutkind, Erich: Die Wirklichkeit als Konvention
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Kinderzeichnung
DIE WIRKLICHKEIT ALS KONVENTION
Von
ERICH GUTKIND
Der Stolz, mit dem der europäische „weiße Mann“ auf die
„Gelben und Farbigen“, auf die „Wilden und Primitiven“ herab-
sieht, schwindet dahin wie Schnee vor der Sonne. Und das überlegene
Lächeln des Erwachsenen über das Kind ist einem sehr nachdenklichen
Zug gewichen. Wir sehen heut, daß die „Naturvölker“ nicht „wild und
primitiv“ sind, sondern besser „Primär-Völker“ genannt werden sollten,
gegenüber unserer Sekundär-Weit, und der Erwachsene weiß, daß
kindlich keineswegs kindisch bedeutet. Die selbstzufriedene, moderne
Kultur mit ihrem Trumpfen auf Technik sieht sich zu der bescheidenen
Einsicht gedrängt, daß sie unter zahlreichen Möglichkeiten eben nur
eine ist, und was man leichtfertig als ein „Nicht - Können“ ansah,
enthüllt sich dem geschärften Blick oft als ein „Nicht-Wollen“. Es
muß immer wieder auf die überwältigende Persönlichkeit Adolf
Bastians hingewiesen werden, dessen noch gar nicht zu übersehende
Erweiterung des menschlichen Geistes-Horizontes vielleicht deutlicher,
als aus seinen verwirrend überladenen Werken, aufstrahlen wird, wenn
in kurzem sein Hauptwerk, das Berliner Völkerkunde-Museum, in neuer
Aufstellung, aus seiner Verborgenheit gezogen sein wird. Für den
Visionbegabten müßte eine Wanderung durch seine Säle völlig um-
stürzende Wirkungen ausüben. Und eine ähnliche Empfindung hatte,
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Kinderzeichnung
DIE WIRKLICHKEIT ALS KONVENTION
Von
ERICH GUTKIND
Der Stolz, mit dem der europäische „weiße Mann“ auf die
„Gelben und Farbigen“, auf die „Wilden und Primitiven“ herab-
sieht, schwindet dahin wie Schnee vor der Sonne. Und das überlegene
Lächeln des Erwachsenen über das Kind ist einem sehr nachdenklichen
Zug gewichen. Wir sehen heut, daß die „Naturvölker“ nicht „wild und
primitiv“ sind, sondern besser „Primär-Völker“ genannt werden sollten,
gegenüber unserer Sekundär-Weit, und der Erwachsene weiß, daß
kindlich keineswegs kindisch bedeutet. Die selbstzufriedene, moderne
Kultur mit ihrem Trumpfen auf Technik sieht sich zu der bescheidenen
Einsicht gedrängt, daß sie unter zahlreichen Möglichkeiten eben nur
eine ist, und was man leichtfertig als ein „Nicht - Können“ ansah,
enthüllt sich dem geschärften Blick oft als ein „Nicht-Wollen“. Es
muß immer wieder auf die überwältigende Persönlichkeit Adolf
Bastians hingewiesen werden, dessen noch gar nicht zu übersehende
Erweiterung des menschlichen Geistes-Horizontes vielleicht deutlicher,
als aus seinen verwirrend überladenen Werken, aufstrahlen wird, wenn
in kurzem sein Hauptwerk, das Berliner Völkerkunde-Museum, in neuer
Aufstellung, aus seiner Verborgenheit gezogen sein wird. Für den
Visionbegabten müßte eine Wanderung durch seine Säle völlig um-
stürzende Wirkungen ausüben. Und eine ähnliche Empfindung hatte,
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