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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Lichnowsky, Mechtilde: Der Kampf mit dem Fachmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#0196

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DER KAMPF MIT DEM FACHMANN
Von
MECH TILDE LICHNOWSKY*)
Lichtbildkünstler
Wer kennt ihn nicht, den Fachmann, der sich 'Lichtbildner nennt?!
Was ich will, weiß ich. Was er kann, weiß ich auch. Am besten weiß
ich, was er könnte — und das weiß er nicht. Er hingegen weiß, was er will,
und daß ich nicht weiß, was ich will. Er will — was ich weiß; da er aber
nicht kann, was er könnte, wenn er wüßte, was ich weiß, und nicht will, was
er nicht weiß, daß er könnte, wenn er wüßte, was ich will — so entsteht ein Licht-
bild. Dieses kann ich nicht brauchen. Ich müßte zu einem anderen Fachmann
gehen, und da wüßte ich wiederum, was ich will und was er nur kann, wenn er
auch wüßte... Was will ich!? Ich will, daß ein Fachmann für Licht und
Linse seinen Photo-Apparat so auf mich richtet, einstellt und ihn funktionieren
läßt, daß keine Lichtpleonasmen entstehen. Ich beanspruche für meinen Kopf
— wie übrigens für jeden anderen — die Sachlichkeit, die man einer Steinplastik,
einem Toten- oder einem Verbrecherkopf entgegenbringt. In diesen drei Fällen
kommt es auf Form an, unbehelligt durch Farbe, auf Maße, unabhängig von
Pose, auf Knappheit und Einfachheit, ungeachtet der Vielfältigkeit körperlicher
und seelischer Einzelheiten. Nichts besteht aus mehr Licht als die Wahrheit,
nichts ist lichtbedürftiger als der Effekt. Von diesem leben die Lichtbildner, und
jene, zu einem greifbaren Effekt verdichtet, ist es, was ich erreichen will.
Nun, sagen Sie das einem etablierten Fachmann, der unter einem Glasdach
thront und an allen Ecken der Stadt Aushängekasten unterhält, in welchen seine
Patienten und Patientinnen mit Augen blitzen, mit Tiefblick faszinieren, mit
Scharfblick hinterrücks fixieren, mit Schiefblick vorderbrusts interessieren, mit
Händen in Cinquecentoposen renommieren, wo Seide gerafft, Samt gepufft,
Sealskin geschleift, Schleierschlangen und Boas geschlungen, mit vertieften und
erhellten Hintergründen Carmen-, Don Jose-, Savonarola-, Erlöser- und Rayon-
chefposen gemimt werden, wo der Homespunbeau mit dem Literaturjunker um
die Wette Arme verschränkt, sich in ein Buch versenkt oder Stock und Hand-
schuhe in edle Rechten preßt, während Linken, die nicht wissen, was die Rechten
tun, elegant hängen oder Taillen umfingern. Sagen sie also, so freundlich wie
höflich diesem Fachmann für Schönheit und Physiognomik, was sie sagen
wollen — sie werden weder gehört noch verstanden werden. Sagen sie: „Bitte
machen Sie mir von meinem Kopf ein scharfes Bild, als wär’s kein Kopf, son-
dern ein Gebäude! Sorgen Sie dafür, daß die Backenknochen, die ich habe,
hervortreten, daß die mageren Wangen nicht voll aussehen, sondern von den
Backenknochen sichtbar überschnitten sind, daß die hellen Haare nicht schwarz
werden, kurz, richten Sie Ihr Licht so ein, daß die vorhandene Form heraus-
kommt und daß vor allem Ihre Linse aus dem Mund, der ein Mund ist und keine
Linsenpüree, auch keine solche herstellt. Ich verzichte auf ein wattiertes Oval
wie auf die Glättung der Falten; meine Runzeln liebe ich, denn sie sind im jahre-
langen Kampf mit dem Fachmann entstanden, und . . .“ Wie verhielte sich
der also haranguierte Photograph ?
*) Aus: Mechtilde Lichnowsky, „Der Kampf mit dem Fachmann“. Verlag Jahoda u. Siegel,
Wien, Leipzig 1924.

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