Georges Rouault, Selbstbildnis
GEORGES ROUAULT
Von
CARL EINSTEIN
Tormentum est totuni quod vivimus isto
sub aevo. Commodianus von Gaza.
Kouault, der große katholische Maler: sein Werk, das er als manus patris
bildet, faßt die zerfallene Zweiheit des Menschen, begreift die Spannung von
Hure zu Gott, läßt in schwerflüssiger Farbe die Passionen der Erbsünde und das
Leiden der Erlösung glosen. Die von der Sünde verderbte Welt wird dem Katho-
liken zur erbärmlichen Groteske, die immer aus transzendentem Zerfallensein,
dem Vergleich mit dem Unvergleichlichen, aufzackt; denn wir und Gott ver-
halten uns wie Paradoxe; der Mensch muß vernichtet sein, um in Gott zu ge-
langen, und Gott den mors necis gestorben, damit er dem Menschen genähert
sei. Im Breviarium Gothicum wird der Tod (mors) der corporatio vorangestellt,
das heißt der Mensch muß in diese Welt geboren zu werden, geistig gestorben
sein; nach der passio springt er überganglos durch die Gnade der Absolution in
die resurrectio. Denn christlich zerspellte Welt findet Zusammenhang nur im
Paradox von Wunder und Gnade, dem salto immortale des gläubigen Herzens;
so dichtete Notker von Jesus: „er sprang vom Himmel in den Leib der Jungfrau
und von dort in das Meer der Zeit“.
Rouaults christliches Werk gibt die sündhaften Dinge dieser Welt, lues vi-
tiorum, crimina laesi sanguinis, um aus „traurigen Höllen“ zur Betrachtung der
Passion, der Erlösung aufzusteigen, und in der Qual Jesu zu verharren: in dem
dunkeln Zittern letzten Tages. Dort ist seine Landschaft gänzlich apokalyptisch,
„Erde und Dinge stoßen letzten Seufzer aus, Natur glost düstere Flamme und die
Berge schmelzen vor Gram.“ Man hört den Schrei Gottes: „Lange habe ich
geschwiegen und eure Verbrechen erduldet.“ Dumpfe Erwartung des dies irae
verdämmert diese Bilder; die am wanken Himmel aufgehängten Sterne seufzen,
während Christus leidet, „die Hölle zu besiegen“. „So groß ist die Glut seiner
liebenden Qual, daß die Felsen zerschmelzen, — — — die ganze Natur ist
Flamme, die Winde brennen gleich den Blitzen.“
244
GEORGES ROUAULT
Von
CARL EINSTEIN
Tormentum est totuni quod vivimus isto
sub aevo. Commodianus von Gaza.
Kouault, der große katholische Maler: sein Werk, das er als manus patris
bildet, faßt die zerfallene Zweiheit des Menschen, begreift die Spannung von
Hure zu Gott, läßt in schwerflüssiger Farbe die Passionen der Erbsünde und das
Leiden der Erlösung glosen. Die von der Sünde verderbte Welt wird dem Katho-
liken zur erbärmlichen Groteske, die immer aus transzendentem Zerfallensein,
dem Vergleich mit dem Unvergleichlichen, aufzackt; denn wir und Gott ver-
halten uns wie Paradoxe; der Mensch muß vernichtet sein, um in Gott zu ge-
langen, und Gott den mors necis gestorben, damit er dem Menschen genähert
sei. Im Breviarium Gothicum wird der Tod (mors) der corporatio vorangestellt,
das heißt der Mensch muß in diese Welt geboren zu werden, geistig gestorben
sein; nach der passio springt er überganglos durch die Gnade der Absolution in
die resurrectio. Denn christlich zerspellte Welt findet Zusammenhang nur im
Paradox von Wunder und Gnade, dem salto immortale des gläubigen Herzens;
so dichtete Notker von Jesus: „er sprang vom Himmel in den Leib der Jungfrau
und von dort in das Meer der Zeit“.
Rouaults christliches Werk gibt die sündhaften Dinge dieser Welt, lues vi-
tiorum, crimina laesi sanguinis, um aus „traurigen Höllen“ zur Betrachtung der
Passion, der Erlösung aufzusteigen, und in der Qual Jesu zu verharren: in dem
dunkeln Zittern letzten Tages. Dort ist seine Landschaft gänzlich apokalyptisch,
„Erde und Dinge stoßen letzten Seufzer aus, Natur glost düstere Flamme und die
Berge schmelzen vor Gram.“ Man hört den Schrei Gottes: „Lange habe ich
geschwiegen und eure Verbrechen erduldet.“ Dumpfe Erwartung des dies irae
verdämmert diese Bilder; die am wanken Himmel aufgehängten Sterne seufzen,
während Christus leidet, „die Hölle zu besiegen“. „So groß ist die Glut seiner
liebenden Qual, daß die Felsen zerschmelzen, — — — die ganze Natur ist
Flamme, die Winde brennen gleich den Blitzen.“
244