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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Njikulin, Ljew; Orloff, Ida [Transl.]: Die zweite Mjeschtschanskaja
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Alexander: Mein freundschaftlicher Verkehr mit den Seelen Verstorbener: nach der New York Tribune
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#0640

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32 Zeilen -— die Zeile fünfzig Kopeken — im ganzen 16 Rubel. Eine Woche
guten Lebensunterhalt . . .“
Er preßt seine Schläfen, schließt die Augen, druckt den Bleistift aufs Papier
und erstarrt über den drei Zeilen. Von rechts, von links, von hinten, aus allen
sechs Zimmern zugleich ertönen laute Stimmen und einen Moment scheint es
ihm, als ob er, mitsamt seinem Papier, seinem Bleistift und seinen Versen in
einem Lautsprecher stecke.
Dann fühlt er plötzlich, daß sich in seinem Zimmer ein lebendes Wesen auf
hält. Der Elektrotechniker Artjuchoff — ein Mitmieter — winkt ihm mit der
Hand zu, deutet auf den Zucker auf dem Fensterbrett.
„Zwei Löffelchen habe ich mir ausgeliehen . . . Schreib’ nur, schreib’ nur“ . . .
und teilnahmsvoll seufzend geht er auf den Fußspitzen davon.
Gegen drei Uhr nachts gibt’s bei Narivaitis eine Familienszene. Es dreht sich
um irgendein Tippfräulein Soja, die für Narivaitis einen Vertrag abgeschrieben
hat.
Um fünf geleitet der Sohn des Professors ein fremdes Fräulein hinaus, und
verspricht ihr, sie wegen der Einstudierung des analytischen Ballets nicht später
als übermorgen anzurufen.
Dann tritt Stille ein. Sie hält ungefähr eine Stunde an. Während dieser Zeit
schreibt Wtulkin den Anfang der vierten Zeile:
„Schillernde Schuppen . . .“
Der Morgen ist da. Die grünen Baumkronen, von engen Mauern umschlossen,
regen sich leise.
Ganz nah — hinter der dünnen Bretterwand — ist das gleichmäßige Schnar-
chen Artjuchoffs zu hören.
Der feuchte Wind kommt durch das offene Fenster und bewegt die Papier-
bogen. Der Morgen ist da. Still ist es. So, jetzt kann man schaffen. Ein neuer
Vierzeiler löst sich unklar aus den stillen und frohen Morgengedanken.
Und plötzlicn wieder — die heisere Baßstimme, von Husten begleitet:
„Wer hat das Licht im Klosett brennen lassen?!“
Borodawker ‘ist also aufgewacht . . . (Deutsch von Ida Orloff.)
MEIN FREUNDSCHAFTLICHER VERKEHR
MIT DEN SEELEN VERSTORBENER
Von
GROSSFÜRST ALEXANDER VON RUSSLAND
In diesem kurzen Aufsatz gebe ich meinen Schwestern und Brüdern in Gott
guten Rat.
Mein ganzes Leben lang (ich bin 75 Jahre alt) glaubte ich fest an die
Möglichkeit des unmittelbaren Verkehrs mit den Seelen im Jenseits. Oft habe
ich den Ruf vernommen, aber mein Leben war ausgefüllt von meinen Pflichten
gegen Vaterland und Familie und ließ mir keine Zeit, die Verbindung mit den
mir befreundeten Seelen aus dem Jenseits herzustellen. Außerdem habe ich aber
unter meinen Freunden auch kein Medium gefunden, für welches die Beziehung
zu den abgeschiedenen Seelen mehr als ein Scherz gewesen wäre. Ich hatte
nicht den Wunsch, irgend etwas mit den professionellen Medien zu tun zu haben,
weil für mich, wenn es mir auch fern liegt, ihre Ehrlichkeit zu bezweifeln,
die Tatsache, daß sie mit ihrer heiligen Gabe Geschäfte machen, von jeher
abstoßend war und geblieben ist.
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