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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Adam, Leonhard: Das Rätsel des Totemismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#0865

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DAS RÄTSEL DES TOTEMISMUS
Vo n
LEONHARD ADAAI
I.
Ein junger Indianer vom Stamme der Tsimshian, einem Fischer- und Jäger-
volke an der nordwestamerikanischen Küste des Stillen Ozeans, verliebte sich
eines Tages in ein junges Mädchen seiner Nation und fand das Glück, von ihr
wiedergeliebt zu werden. Es bestand aber eine Schwierigkeit, die unüberwindlich
schien. Beide gehörten nämlich der Sippe der,,Raben“ an. Nun herrscht bei jenem
Volke, ebenso wie bei den ähnlich organisierten Nachbarstämmen, die strenge
Vorschrift der Exogamie oder Außenehe; das heißt, daß ein Mann einer der vier
Sippen (Adler, Rabe, Wolf und Bär) die Gattin jeweils aus einer der anderen
Sippen wählen muß. Ein seit unvordenklichen Zeiten geltendes, ungeschriebenes
Gesetz verbietet jede Zuwiderhandlung. Zur Zeit, als noch kein wesentlicher
europäischer Einfluß im Lande spürbar war, wäre eine Übertretung geradezu
undenkbar gewesen; denn wenn nicht schlimmere Strafe, so mußte sie gesell-
schaftlichen Tod, Verfemung durch alle Volksgenossen nach sich ziehen. Damals
aber, als unsere kleine Tragödie spielte, waren schon Missionen im Lande, die
durch das Licht des Christentums die Finsternis „abergläubischer“ Vorstellungen
zu durchdringen strebten. Darauf bauten die Liebenden, und nachdem sie ihre
Beziehungen eine Zeitlang geheimgehalten hatten, ging der junge Mann zum
Missionar und fragte ihn um seine Meinung. Dieser sagte, daß auch er kein
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