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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Germain, André: Drei deutsche Dichter in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#1576

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DREI DEUTSCHE DICHTER IN PARIS
Von
ANDRE GERMAIN
Fritz von Unruh, Carl Sternheim, Rainer-Maria Rilke: in weniger als
einem Jahr sah sie Paris vorüberziehen, und der Europäer in uns
freute sich dieser wiedergewonnenen Freiheit, dieses zurückgekehrten
Hauches . . .
Und welcher Kontrast! Unruh, der schöne romantische Held, der
Prophet gewordene Offizier, der zum Tribun erblühte Junker, der mit
der Sicherheit eines Halbgottes einherschreitet und sein Lächeln vor
sich hersendet wie eine Botschaft. Sternheim, der intelligente Jude, der
von Paradoxen und Spöttereien funkelt und Ideen und Traditionen zer-
nagt, wie die Ratte die hölzernen Idole eines Tempels. Rilke, ein Freund
des Halblichtes und ein Dichter.
Wahrlich, ein dreifaches Deutschland brachten uns diese drei Männer:
der eine, aus zugleich disziplinierter und rebellischer Rasse, wirft eines
Tages seinen Helm fort, um seine Haare allen Winden preiszugeben,
Kant und der Pastor halten ihn nicht mehr im Zügel, und er stürzt
sich in eine sentimentale Orgie sexuellen Wahnsinns, doch ohne Phantasie
und Vorstellungskraft. Diesem Revolutionär voller Schwung, gefährlich
und stark vor einer Masse, doch schwach und gequält sich selbst gegen-
über, dessen sich Kommunisten wie Nationalisten bemächtigen könnten,
um ein wunderbares Werkzeug aus ihm zu machen, steht der fast allzu
bewußte jüdische Individualist entgegen, den seine verneinende Kraft
und seine ererbten Verärgerungen zur Revolution treiben, der aber wählen
will und nicht weiß, welche er vorziehen soll. Im Grunde durch seine
Feinheit Heine näher als Liebknecht, liegen ihm Pfeile mehr als Ma-
schinengewehre, während der andere, mit seinem idealisierten Danton-
gesicht, trunkener Dichter und romantische Bestie, Studenten toll machen,
Arbeiter bewaffnen, Paläste in die Luft sprengen könnte.
Wie weit er von seinen beiden revolutionären Landsleuten entfernt
ist, dieser Rilke, den Hölderlin und Novalis gegrüßt hätten!
Unruh, Prophet und Bär.
Ehre, wem Ehre gebührt. Wir wollen zuerst von Unruh sprechen,
der als erster und mit großem Getöse nach Paris kam, als Fürst der
deutschen Jugend und, wie er sich selber bezeichnet: als „Botschafter
des Friedens“ . . .
Kaum in seine Frankfurter Einsamkeit zurückgekehrt, hat dieser unser
Gast seine Eindrücke in einem Buche niedergelegt, das unter dem Titel:
„Flügel der Nike“ erschienen ist und durch die Kühnheit seiner Indis-
kretion, durch die Heftigkeit seines Lyrismus und auch durch seinen
abwechselnd brutalen und prophetischen Ton, der zugleich an Löon
Daudet und an Swedenborg gemahnt, in Erstaunen setzt. . . .

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