EDELLEUTE UND BURGER*)
Von
JfzLY JACOB
In mächtigen Türmen sind sie aufgewachsen, diese jungen Männer, nicht über
einem Kaufladen wie ich; in den mächtigen Türmen des Schlosses Lyser in
der Bretagne. Bodenräume wie zwei Stockwerke hoch, ganze Stockwerke, die
leer stehen wie Bodenräume oder auch ebenso überfüllt sind wie solche, alle
möglichen Treppen, die nirgendshin führen, das ist Schloß Lyser! Und dann
die „Scharten“! Wißt ihr, was das ist? Man hat Gänge angelegt mit „Scharten“:
der Stein des Fußbodens hat Lücken, durch die man das Wasser der Gräben
sieht: das ist sehr gefährlich für die Kinder, bah, was tut’s! . . . Hier und da
gibt es auch bewohnbare Zimmer mit schönen eingelegten Fußböden und großen
Familienbildern, aber alle übrigen Räume sind entweder verschlossen und ver-
riegelt, weil sich Archive darin befinden, oder es sind ganze Zimmerfluchten,
die als Rumpelkammern dienen. Und dabei gibt es darin alte Möbel und alte
Wandteppiche aus allen Zeiten, die jeden Antiquar Europas oder Amerikas vor
Neid erblassen machen würden. Und es gibt große leere Zimmer und Schlupf-
winkel, in die man flüchten und in denen man sich verstecken kann. Und der
Wald, den man hinter den Mauern sieht! Und die Schloßterrassen mit dem
Blick auf den Fluß!
Als man sich dazu entschloß, die Jungen Lesen und Schreiben lernen zu lassen,
waren sie acht und zehn Jahre alt: der Vikar aus der Pfarre kam aufs Schloß, um
sie zu unterrichten! Der unglückliche Vikar! Um sie zu unterrichten, hätte er sie
zunächst einmal irgendwo im Schlosse erwischen müssen! Das reinste Versteck-
spiel! Brrr! In der Hoffnung, daß sie sich im Freien weniger langweilen
*) Auszug aus einem demnächst im Verlag der Nouvelle Revue Framjaise erscheinenden Buch:
Tableau de la Bourgeoisie.
338
Von
JfzLY JACOB
In mächtigen Türmen sind sie aufgewachsen, diese jungen Männer, nicht über
einem Kaufladen wie ich; in den mächtigen Türmen des Schlosses Lyser in
der Bretagne. Bodenräume wie zwei Stockwerke hoch, ganze Stockwerke, die
leer stehen wie Bodenräume oder auch ebenso überfüllt sind wie solche, alle
möglichen Treppen, die nirgendshin führen, das ist Schloß Lyser! Und dann
die „Scharten“! Wißt ihr, was das ist? Man hat Gänge angelegt mit „Scharten“:
der Stein des Fußbodens hat Lücken, durch die man das Wasser der Gräben
sieht: das ist sehr gefährlich für die Kinder, bah, was tut’s! . . . Hier und da
gibt es auch bewohnbare Zimmer mit schönen eingelegten Fußböden und großen
Familienbildern, aber alle übrigen Räume sind entweder verschlossen und ver-
riegelt, weil sich Archive darin befinden, oder es sind ganze Zimmerfluchten,
die als Rumpelkammern dienen. Und dabei gibt es darin alte Möbel und alte
Wandteppiche aus allen Zeiten, die jeden Antiquar Europas oder Amerikas vor
Neid erblassen machen würden. Und es gibt große leere Zimmer und Schlupf-
winkel, in die man flüchten und in denen man sich verstecken kann. Und der
Wald, den man hinter den Mauern sieht! Und die Schloßterrassen mit dem
Blick auf den Fluß!
Als man sich dazu entschloß, die Jungen Lesen und Schreiben lernen zu lassen,
waren sie acht und zehn Jahre alt: der Vikar aus der Pfarre kam aufs Schloß, um
sie zu unterrichten! Der unglückliche Vikar! Um sie zu unterrichten, hätte er sie
zunächst einmal irgendwo im Schlosse erwischen müssen! Das reinste Versteck-
spiel! Brrr! In der Hoffnung, daß sie sich im Freien weniger langweilen
*) Auszug aus einem demnächst im Verlag der Nouvelle Revue Framjaise erscheinenden Buch:
Tableau de la Bourgeoisie.
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