Von
FLORENT FELS
Utrillo, in Paris am 25. Dezember 1883 geboren, ist der Maler des
Paris vor dem Kriege, der pockennarbigen, schäbigen. Häuser und
Brandmauern, des Sacre Coeur, mit seinen unsympathischen Pilgern.
Die Häuser riechen nach Verbrechen ohne Mut, nach ungewaschenen
Menschen, nach der alten Revanchegeneration. Ganz oben auf der
Butte Montmartre (wohl oder übel muß man dorthin) ein armseliger
Garten, mit einem schwerfälligen Torweg, in dem die Katze des braven
Stechers Galanis herumspaziert; dort wohnt der Dichter Reverdy, und
unter dem alten grünen bäuerischen Dach haust eine französische
Arbeiterfamilie: Suzanne Valadon, Andre Utter, Maurice Utrillo. Hätten
die handwerklichen Traditionen des Mittelalters noch ihre Geltung,
so würden sich die drei zu einem Bilde zusammentun, und es käme
sicher etwas Gutes dabei heraus. Suzanne Valadon, Utrillos Mutter,
wäre zweifellos der Meister dieser Zunft, denn sie ist die treibende
geistige Kraft, die Führerin und die Erfahrene in diesem Atelier, nicht,
weil sie neben berühmten Malern gelebt hat, sondern weil sie seit ihrem
sechzehnten Jahr den Stift und Pinsel führte. Utrillo verdankt ihr die
ursprüngliche Technik; die überreiche Poesie dieses Träumers tat das
übrige, und dann erschuf seine Hand und sein Geschmack sein schmet-
terndes Gelb, sein blutiges Rot und darüber, wie ein Stück zarter Seide,
seinen blauen, unendlichen, wolkenlosen Himmel, die absolute Fläche. In
dem zarten Licht der Stadt sieht er Schönheiten, die seine Gaben steigern.
Für ihn gibt es nichts Häßliches in Paris, weder die trübseligen Arbeiter,
die er hin und wieder durch seine Straßen eilen läßt, noch die vielen
Gitter; und gegen ihr Elend wirkt der verwitterte Marmor nur um so
köstlicher. Die Felder und Wälder haben keinen Reiz für Utrillo.
Seine Palette ist ein Bukett. Er versagt sich keine Farbe, und jener
Geschmack, den Baudelaire jedem Genie zuerkennt, verläßt ihn nie.
Seine Häuser sind mit weißem, schwarzem, braunem und gelbem Mörtel
beworfen und verdanken ihre Echtheit ihrer Identität mit dem Gegenstand.
Er kommt der Natur durch die Qualität des Materials nahe; mit frei-
gebiger Hand schüttet er prasselndes Grün und Gelb auf seine Blätter und
entwickelt eine Zärtlichkeit der Pinselführung, die aus der Liebe zum
malerischen Objekt entsteht. Er schafft eine Ökonomie durch eine Me-
thode, die einem heißen und empfindenden Temperament entspringt, mit
einer Melancholie, die nur aus dem Lichte Trost schöpft.
Von jeder gewollten Ästhetik frei, liefert er den Beweis, daß ein Maler
ein Kunstwerk schaffen kann, auch ohne sich ängstlich mit der inneren
Organisation des Bildes zu befassen: indem sich nämlich die Zeichnung
durch die einfache Abstufung der Valeurs präzisiert, zusammenfügt und
richtig verteilt. Man hat es Utrillo vorgeworfen, daß er ab und zu seine
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FLORENT FELS
Utrillo, in Paris am 25. Dezember 1883 geboren, ist der Maler des
Paris vor dem Kriege, der pockennarbigen, schäbigen. Häuser und
Brandmauern, des Sacre Coeur, mit seinen unsympathischen Pilgern.
Die Häuser riechen nach Verbrechen ohne Mut, nach ungewaschenen
Menschen, nach der alten Revanchegeneration. Ganz oben auf der
Butte Montmartre (wohl oder übel muß man dorthin) ein armseliger
Garten, mit einem schwerfälligen Torweg, in dem die Katze des braven
Stechers Galanis herumspaziert; dort wohnt der Dichter Reverdy, und
unter dem alten grünen bäuerischen Dach haust eine französische
Arbeiterfamilie: Suzanne Valadon, Andre Utter, Maurice Utrillo. Hätten
die handwerklichen Traditionen des Mittelalters noch ihre Geltung,
so würden sich die drei zu einem Bilde zusammentun, und es käme
sicher etwas Gutes dabei heraus. Suzanne Valadon, Utrillos Mutter,
wäre zweifellos der Meister dieser Zunft, denn sie ist die treibende
geistige Kraft, die Führerin und die Erfahrene in diesem Atelier, nicht,
weil sie neben berühmten Malern gelebt hat, sondern weil sie seit ihrem
sechzehnten Jahr den Stift und Pinsel führte. Utrillo verdankt ihr die
ursprüngliche Technik; die überreiche Poesie dieses Träumers tat das
übrige, und dann erschuf seine Hand und sein Geschmack sein schmet-
terndes Gelb, sein blutiges Rot und darüber, wie ein Stück zarter Seide,
seinen blauen, unendlichen, wolkenlosen Himmel, die absolute Fläche. In
dem zarten Licht der Stadt sieht er Schönheiten, die seine Gaben steigern.
Für ihn gibt es nichts Häßliches in Paris, weder die trübseligen Arbeiter,
die er hin und wieder durch seine Straßen eilen läßt, noch die vielen
Gitter; und gegen ihr Elend wirkt der verwitterte Marmor nur um so
köstlicher. Die Felder und Wälder haben keinen Reiz für Utrillo.
Seine Palette ist ein Bukett. Er versagt sich keine Farbe, und jener
Geschmack, den Baudelaire jedem Genie zuerkennt, verläßt ihn nie.
Seine Häuser sind mit weißem, schwarzem, braunem und gelbem Mörtel
beworfen und verdanken ihre Echtheit ihrer Identität mit dem Gegenstand.
Er kommt der Natur durch die Qualität des Materials nahe; mit frei-
gebiger Hand schüttet er prasselndes Grün und Gelb auf seine Blätter und
entwickelt eine Zärtlichkeit der Pinselführung, die aus der Liebe zum
malerischen Objekt entsteht. Er schafft eine Ökonomie durch eine Me-
thode, die einem heißen und empfindenden Temperament entspringt, mit
einer Melancholie, die nur aus dem Lichte Trost schöpft.
Von jeder gewollten Ästhetik frei, liefert er den Beweis, daß ein Maler
ein Kunstwerk schaffen kann, auch ohne sich ängstlich mit der inneren
Organisation des Bildes zu befassen: indem sich nämlich die Zeichnung
durch die einfache Abstufung der Valeurs präzisiert, zusammenfügt und
richtig verteilt. Man hat es Utrillo vorgeworfen, daß er ab und zu seine
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