Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 5.1925
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Zuckmayer, Carl: Die Geschichte vom Tierwärter Lober
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DIE GESCHICHTE VOM TIERWÄRTER LOBER
Von
CARL ZUCKALA YER
Tierwärter Lober, seit einigen Wochen der erste Mann im Raubtier-
haus, blieb am Käfig des Fischotters stehen. Er trug einen Arbeits-
anzug aus Sackleinen und war ein blasser Mensch mit breiten Backen-
knochen. Seine Augen standen sehr weit auseinander, der Mund auffallend
schief zur Nase, das Kinn tief auf der Brust.
Das Tier im Käfig, den eine Drahtglocke umschloß, lugte aus den
veralgten Buckeln des Grottengesteins mit braunem, sehr flach gepreßtem
Kopf, in dem die Augen, wimperlos eingesetzt, wie hinter einer Fett-
schicht opalisierten. Gleich darauf glitt der schmale, starkpelzige Leib
mit lautlos glatten, Schlangenhaften Bewegungen vom Felsen herab ins
Wasser, durchschnitt die trübstehende Fläche des Bassins, rasch, pfeil-
gerade, mit der Schnauze zwei Furchen ziehend, wie ein Motorboot in
sausender Fahrt, und strich mit der gleichen gut geölten Sanftheit der
Gelenke aus dem Wasser aufwärts auf den Steinrand am Gitter. So stand
dieses Tier am Gitter hoch (gleich einem durchnäßten Damenpelz, den
man zum Trocknen aufgehängt hat), die kurzen scharf kralligen Vorder-
füße trommelten erregt, die feinen Haare des Schnurrbarts zitterten, die
spitzen weißen Zähne entblößten sich.
Lober kramte aus der Hosentasche das Kopfstück eines Fisches, roh,
mit blutiger Schnittfläche, zwängte es durch die verdrahteten Stäbe. Er
lachte kurz und glucksend, als ihm der Otter den Finger fast mitriß und,
die Beute im Maul, sofort in großer Kurve köpflings durchs Wasser und
wieder zurück ins schlüpfrige veralgte Dunkel seiner Grotte fuhr.
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