FREUDEN DES DICHTERS
Von
NINO FRANK
Herr Gabriele d’Annunzio, Ex-Gigolo der Dichtkunst, hat nach 40 Jahren
rechtschaffenen Dienstes an der universellen organisierten Dummheit seinen
Abschied genommen, um seine Renten abseits zu genießen. Er beginnt also,
eine seriöse Existenz zu führen; denn — ist es nicht entzückend ? — der alte kanle
Herr liebt den Lärm nicht. Man achtet ihn, man liebt ihn, man mokiert sich
über ihn, und man lacht über seine Botschaften. Frühreifes Muttersöhnchen?
Nein, der größte lebende italienische Dichter!
. *
Das sei nicht logisch, meinen Sie ? Und Sie —- sind Sie etwa logisch ? Und
der Stuhl unter Ihrem Hintern, ist der vielleicht logisch ?
Aber darum handelt es sich ja gar nicht! Herr d’Annunzio nennt seine
Villa „Le Victorial“, weil er den Krieg besiegt hat: richtiger gesagt, weil
er das Lächerliche besiegt hat. ,,Marlborough s’en va-t-en guerre“: ja,
d’Annunzio ebenfalls; mit Musik und Reden. Auch während des Krieges,
wo er all diese armen Soldaten betäubt hat mit dem Ungewitter der Adjektive
in seinen Reden. Und Sie glauben, das war d’Annunzio ? Aber nein, das war,
genau gesagt, seine Seele oder sein Großvater, genau weiß ich es nicht mehr.
Er, dieser sanfte Hirt von Pescara, halb Bauer, halb Matrose, er kämpfte
anderswo: in der ersten Linie.
Und Sie können es mir glauben, er hat harte Arbeit getan.
Das Lächerliche besiegen kann wohl Ziel eines Lebens sein. In Gardone-
Riviera sucht unser Rentier den Klerus heim und pflegt seinen Gemüsegarten.
Die Legende fügt hinzu: schmachtend geht er unter der armseligen Sonne in
seinem italienischen Garten mit Vertrauten oder Besuchern spazieren. Ab und
zu pflückt er eine Rose und schlürft, den Blick himmelwärts, affektiert ihren
Duft ein . . . Sie erkennen den Stil und den Schatten des frommen Biedermanns
Maeterlinck und sein „Theätre de Tarne“ (Theätre de TAsthme“ sollte es
heißen). Es kommt noch besser: „Dem Victorial gegenüber liegt ein Sonder-
ling von einem Berg, dessen Profil dem schlafenden Dante Alighieri ähnlich
ist“: aber wir können es nicht verschweigen — er schnarcht nicht, was unser
Interesse wesentlich abkühlt. Also: „d’Annunzio gibt sich allabendlich der
Betrachtung der Beinahe-Sphinx hin, und niemand darf ihn stören in diesen
Minuten.“ Und Sie finden, das sei gar nicht sehr amüsant? Es gäbe Besseres:
„Cocain-Bacchanalien . . .“. Und das sei noch nicht alles . . .
Oho! Dieser alte Rentier ... I Übrigens, was kümmert mich das und auch
Sie . . .! Aber die Legende fängt an, uns zu ärgern. Die Akten notieren:
an der Front ein Auge verloren, Flug nach Wien und Spaziergang in Buccari,
ein Dutzend Dekorationen und dann Fiume. Ja, und dann? Wenn Sie fertig
sind, wecken Sie mich bitte.
Was mich am meisten interessiert, ist etwas ganz anderes: Hat d’Annunzio
an der Front einige Gewehrschüsse abgegeben, zielt er sicher? Wenn ja, so
gibt es Geflügeljagden in Gardone.
Der Rest ist Literatur.
Äußerlich ist es ein ziemlich ländliches Häuschen, ein Stockwerk und das
Parterre: die Fenster bäuerlich und eine winzige Eingangstür. Man kann das
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Von
NINO FRANK
Herr Gabriele d’Annunzio, Ex-Gigolo der Dichtkunst, hat nach 40 Jahren
rechtschaffenen Dienstes an der universellen organisierten Dummheit seinen
Abschied genommen, um seine Renten abseits zu genießen. Er beginnt also,
eine seriöse Existenz zu führen; denn — ist es nicht entzückend ? — der alte kanle
Herr liebt den Lärm nicht. Man achtet ihn, man liebt ihn, man mokiert sich
über ihn, und man lacht über seine Botschaften. Frühreifes Muttersöhnchen?
Nein, der größte lebende italienische Dichter!
. *
Das sei nicht logisch, meinen Sie ? Und Sie —- sind Sie etwa logisch ? Und
der Stuhl unter Ihrem Hintern, ist der vielleicht logisch ?
Aber darum handelt es sich ja gar nicht! Herr d’Annunzio nennt seine
Villa „Le Victorial“, weil er den Krieg besiegt hat: richtiger gesagt, weil
er das Lächerliche besiegt hat. ,,Marlborough s’en va-t-en guerre“: ja,
d’Annunzio ebenfalls; mit Musik und Reden. Auch während des Krieges,
wo er all diese armen Soldaten betäubt hat mit dem Ungewitter der Adjektive
in seinen Reden. Und Sie glauben, das war d’Annunzio ? Aber nein, das war,
genau gesagt, seine Seele oder sein Großvater, genau weiß ich es nicht mehr.
Er, dieser sanfte Hirt von Pescara, halb Bauer, halb Matrose, er kämpfte
anderswo: in der ersten Linie.
Und Sie können es mir glauben, er hat harte Arbeit getan.
Das Lächerliche besiegen kann wohl Ziel eines Lebens sein. In Gardone-
Riviera sucht unser Rentier den Klerus heim und pflegt seinen Gemüsegarten.
Die Legende fügt hinzu: schmachtend geht er unter der armseligen Sonne in
seinem italienischen Garten mit Vertrauten oder Besuchern spazieren. Ab und
zu pflückt er eine Rose und schlürft, den Blick himmelwärts, affektiert ihren
Duft ein . . . Sie erkennen den Stil und den Schatten des frommen Biedermanns
Maeterlinck und sein „Theätre de Tarne“ (Theätre de TAsthme“ sollte es
heißen). Es kommt noch besser: „Dem Victorial gegenüber liegt ein Sonder-
ling von einem Berg, dessen Profil dem schlafenden Dante Alighieri ähnlich
ist“: aber wir können es nicht verschweigen — er schnarcht nicht, was unser
Interesse wesentlich abkühlt. Also: „d’Annunzio gibt sich allabendlich der
Betrachtung der Beinahe-Sphinx hin, und niemand darf ihn stören in diesen
Minuten.“ Und Sie finden, das sei gar nicht sehr amüsant? Es gäbe Besseres:
„Cocain-Bacchanalien . . .“. Und das sei noch nicht alles . . .
Oho! Dieser alte Rentier ... I Übrigens, was kümmert mich das und auch
Sie . . .! Aber die Legende fängt an, uns zu ärgern. Die Akten notieren:
an der Front ein Auge verloren, Flug nach Wien und Spaziergang in Buccari,
ein Dutzend Dekorationen und dann Fiume. Ja, und dann? Wenn Sie fertig
sind, wecken Sie mich bitte.
Was mich am meisten interessiert, ist etwas ganz anderes: Hat d’Annunzio
an der Front einige Gewehrschüsse abgegeben, zielt er sicher? Wenn ja, so
gibt es Geflügeljagden in Gardone.
Der Rest ist Literatur.
Äußerlich ist es ein ziemlich ländliches Häuschen, ein Stockwerk und das
Parterre: die Fenster bäuerlich und eine winzige Eingangstür. Man kann das
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