DOI article:
Zimmer, Heinrich Robert: Perspektive
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.63706#0997
o
Von
HEINRICH ZIMMER
Die kleine Erde häutet sich und vertauscht ihr regional getupftes
kulturelles Eigenkleid mit uniformer Fertigware. Ererbte
Unterschiedlichkeit wird zu betontem Heimatsstil, zu konservierter
Fremdenattraktion. Das reicht bis an die Pole. Die Pinguine des
Südpols haben längst die Abgeschlossenheit ihres Familienidylls
vorübergehender Filmberühmtheit geopfert, und ihre Freunde, die
Robben, lassen sich wie Gerhart Hauptmann beim Baden kurbeln.
Die Menschenfresser der Südsee vergessen es, ihre Gäste zu ver-
speisen, lassen sich von ihnen knipsen und sehen sich selbst im Kino.
Ihre Töchter machen sich in Amerika als Jazz-Band beliebt und
scheinen auf die rituelle Kraftnahrung ihrer Ahnen endgültig ver-
zichtet zu haben. Ostasien verkonsumiert eine deutsche Universitäts-
philosophie nach der anderen und ist in ihrem Verständnis sicher
schon so weit gekommen, wie ein zielbewußter Dauerleser des Darm-
städter „Leuchters“ (Keyserling, Reichl & Cie.) in Yogapraxis.
Negerhäuptlinge fahren in Fordautos durch Steppe und Morast zu
Staatskonferenzen, und daß der Mount Everest als letzter aus seiner
Splendid Isolation gerissen wird, ist nur noch eine Frage der Zeit.
Gebildete junge Inder kennen ihren Freud wie Wandervögel, und
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Von
HEINRICH ZIMMER
Die kleine Erde häutet sich und vertauscht ihr regional getupftes
kulturelles Eigenkleid mit uniformer Fertigware. Ererbte
Unterschiedlichkeit wird zu betontem Heimatsstil, zu konservierter
Fremdenattraktion. Das reicht bis an die Pole. Die Pinguine des
Südpols haben längst die Abgeschlossenheit ihres Familienidylls
vorübergehender Filmberühmtheit geopfert, und ihre Freunde, die
Robben, lassen sich wie Gerhart Hauptmann beim Baden kurbeln.
Die Menschenfresser der Südsee vergessen es, ihre Gäste zu ver-
speisen, lassen sich von ihnen knipsen und sehen sich selbst im Kino.
Ihre Töchter machen sich in Amerika als Jazz-Band beliebt und
scheinen auf die rituelle Kraftnahrung ihrer Ahnen endgültig ver-
zichtet zu haben. Ostasien verkonsumiert eine deutsche Universitäts-
philosophie nach der anderen und ist in ihrem Verständnis sicher
schon so weit gekommen, wie ein zielbewußter Dauerleser des Darm-
städter „Leuchters“ (Keyserling, Reichl & Cie.) in Yogapraxis.
Negerhäuptlinge fahren in Fordautos durch Steppe und Morast zu
Staatskonferenzen, und daß der Mount Everest als letzter aus seiner
Splendid Isolation gerissen wird, ist nur noch eine Frage der Zeit.
Gebildete junge Inder kennen ihren Freud wie Wandervögel, und
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