schlafende Albertine beschreibt. Dann wieder Stellen, die man, trotz mancher
Schönheiten, nach reiflicher Überlegung ihm vorwerfen muß! Denn wenn nach
unzähligen Abenteuern sein Held sich schließlich besinnt, sie zu verachten, um bei
dieser Gelegenheit zugleich die Liebe zu verfluchen und zu verleugnen, macht er
sich da nicht der größten Trugschlüsse schuldig? Müßte er sich nicht sagen, daß
er selbst und nicht die so zu Unrecht geschmähte Liebe an allem schuld ist ? Die
Liebe hat nichts oder doch nur sehr wenig mit diesen fieberhaften Untersuchungen
und mit diesen gelehrten Übungen, die er sich vorschreibt, zu tun.
Irgendwo in „Sodom“ geht Proust so weit, die Liebe so zu apostrophieren:
„Liebe, ein Gefühl, das (wie auch immer verursacht) ein Irrtum ist.“ An
einer anderen Stelle des gleichen Werkes erklärt er geradezu, daß es Freund-
schaft nicht gibt. Dies sind Parallelirrtümer, deren Behauptung mutig ist, aber
die eher von Impotenz als von durchdringender Geistesklarheit zeugen. Einige
Carl Hofer Zeichnung
können die Fackel heben und dem Spiegel gegenübertreten, ohne die Gottheit,
deren Geheimnis sie aufdecken, zu beleidigen oder zu verleugnen, das sind die
Tapferen und Reinen. Man verüble es dem Autor von „Du cote de chez Swann“
nicht, daß er nicht zu ihnen gehört. Seine schmerzliche, unentwegte Aufrichtigkeit
hat ihren Wert. Sie schafft Dokumente und erschüttert; das ist schon viel.
*
Man müßte, wenn man im Zusammenhang den Snobismus in Prousts Werk
behandeln wollte, einen ganzen Essay schreiben. Dieses Lasters Theoretiker
wird er stets bleiben. Generationen werden einander folgen, die ihn genau
so sehen werden, wie er hier bis ins Detail festgelegt wurde. Gesellschafts-
sphären, die von ihm nichts wußten, beginnen ihn nicht nur zu ahnen, sondern
sogar ihn zu kennen und, dank dieser Aufklärung, Geschmack an ihm zu finden.
Proust selbst ist nicht geheilt worden. Hier steckt die schmerzliche und
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Schönheiten, nach reiflicher Überlegung ihm vorwerfen muß! Denn wenn nach
unzähligen Abenteuern sein Held sich schließlich besinnt, sie zu verachten, um bei
dieser Gelegenheit zugleich die Liebe zu verfluchen und zu verleugnen, macht er
sich da nicht der größten Trugschlüsse schuldig? Müßte er sich nicht sagen, daß
er selbst und nicht die so zu Unrecht geschmähte Liebe an allem schuld ist ? Die
Liebe hat nichts oder doch nur sehr wenig mit diesen fieberhaften Untersuchungen
und mit diesen gelehrten Übungen, die er sich vorschreibt, zu tun.
Irgendwo in „Sodom“ geht Proust so weit, die Liebe so zu apostrophieren:
„Liebe, ein Gefühl, das (wie auch immer verursacht) ein Irrtum ist.“ An
einer anderen Stelle des gleichen Werkes erklärt er geradezu, daß es Freund-
schaft nicht gibt. Dies sind Parallelirrtümer, deren Behauptung mutig ist, aber
die eher von Impotenz als von durchdringender Geistesklarheit zeugen. Einige
Carl Hofer Zeichnung
können die Fackel heben und dem Spiegel gegenübertreten, ohne die Gottheit,
deren Geheimnis sie aufdecken, zu beleidigen oder zu verleugnen, das sind die
Tapferen und Reinen. Man verüble es dem Autor von „Du cote de chez Swann“
nicht, daß er nicht zu ihnen gehört. Seine schmerzliche, unentwegte Aufrichtigkeit
hat ihren Wert. Sie schafft Dokumente und erschüttert; das ist schon viel.
*
Man müßte, wenn man im Zusammenhang den Snobismus in Prousts Werk
behandeln wollte, einen ganzen Essay schreiben. Dieses Lasters Theoretiker
wird er stets bleiben. Generationen werden einander folgen, die ihn genau
so sehen werden, wie er hier bis ins Detail festgelegt wurde. Gesellschafts-
sphären, die von ihm nichts wußten, beginnen ihn nicht nur zu ahnen, sondern
sogar ihn zu kennen und, dank dieser Aufklärung, Geschmack an ihm zu finden.
Proust selbst ist nicht geheilt worden. Hier steckt die schmerzliche und
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