Während die Gesellschaft ausruhte, füllte sich einer der Begleiter des Grafen,
ein adeliger „wakato“ namens Sekinai, da er heftigen Durst empfand, selber
einen großen Wasserbecher mit Tee.
Er wollte gerade zu trinken beginnen und hatte bereits die Lippen angesetzt,
als er plötzlich in der klaren, gelben Flüssigkeit das Bild oder vielmehr die
Spiegelung eines Gesichtes sah, das nicht sein eigenes war.
Verblüfft schaute er sich um, konnte aber niemand erblicken, der in seiner
Nähe gewesen wäre.
Nach der Haartracht zu schließen schien das Gesicht in dem Teebecher das
eines jungen Samurais zu sein; es war seltsam ausdrucksvoll und überaus schön
— dabei zart wie das eines Mädchens.
Es schien die Spiegelung eines lebenden Antlitzes zu sein, denn Lippen und
Augen bewegten sich.
Verwirrt durch die Seltsamkeit dieses Begebnisses prüfte Sekinai sorgfältig
das Äußere des Gefäßes. Es war ohne Zweifel ein ganz billiger Wasserbecher
und trug keinerlei Anzeichen, die auf künstlerische Herstellung hingewiesen
hätten.
Sekinai füllte ein anderes Gefäß, und wiederum blickte ihm aus dem Tee
das Gesicht entgegen; er ließ frischen Tee kommen, füllte ihn in den Becher
ein — und abermals erschien das fremde Gesicht darin.
Diesmal mit einem unverkennbar spöttischen Ausdruck.
Aber Sekinai war nicht leicht zu erschrecken und hatte sich vollkommen in
der Gewalt. — „Wer du auch seist,“ murmelte er, „lange sollst du mich nicht
zum besten haben“ — dabei schluckte er den Tee, das Gesicht und was sich
sonst noch gespiegelt hatte hinunter und ging seines Wegs, gewissermaßen neu-
gierig, ob er vielleicht am Ende gar einen Geist verschlungen habe.
Spät am Abend desselben Tages wurde Sekinai, als er im Schlosse des
Grafen Nakawa noch wach war, durch das geräuschlose Eintreten eines Frem-
den überrascht. Dieser Eindringling, ein reich gekleideter junger Samurai,
setzte sich ohne weitere Umstände ihm gegenüber, nachdem er ihn mit einer
leichten Verbeugung begrüßt hatte.
„Ich bin Shikibu Heinai,“ begann er, „und bin Ihnen heute zum erstenmal
begegnet. — — Sie scheinen sich aber meiner nicht mehr zu entsinnen.“
Er sprach mit sehr leiser, aber ungemein durchdringender Stimme.
Sekinai war erstaunt, dasselbe böse, wenn auch schöne Gesicht wiederum vor
sich zu sehen, das er bereits in der Teetasse erblickt und — getrunken hatte.
Es lächelte auch jetzt — genau so, wie es als Phantom gelächelt hatte, aber
der unverwandte fixierende Blick der Augen war — im Gegensatz zu dem
Lächeln der Lippen — eine Herausforderung und eine Beleidigung zugleich.
„Nein, ich entsinne mich Ihrer nicht,“ erwiderte Sekinai, innerlich wütend,
jedoch äußerlich kalt, „aber vielleicht haben Sie die Güte, mir mitzuteileni,
wer Ihnen erlaubt hat, in das Zimmer hier zu kommen!“ — Er glaubte sich
zu dieser Frage um so mehr berechtigt, als in den damaligen feudalen Zeiten die
Residenz eines Grafen zu jeglicher Stunde aufs strengste bewacht war und nie-
mand unangemeldet eintreten konnte, es sei denn infolge unverantwortlicher Nach-
lässigkeit seitens der waffentragenden Dienerschaft.
„Ah, Sie erkennen mich also nicht!“ höhnte der Fremde und rückte ein
wenig näher, „natürlich, Sie erkennen mich nicht! Trotzdem Sie mir heute
morgen eine tödliche Beleidigung zugefügt haben! — — —“
308
ein adeliger „wakato“ namens Sekinai, da er heftigen Durst empfand, selber
einen großen Wasserbecher mit Tee.
Er wollte gerade zu trinken beginnen und hatte bereits die Lippen angesetzt,
als er plötzlich in der klaren, gelben Flüssigkeit das Bild oder vielmehr die
Spiegelung eines Gesichtes sah, das nicht sein eigenes war.
Verblüfft schaute er sich um, konnte aber niemand erblicken, der in seiner
Nähe gewesen wäre.
Nach der Haartracht zu schließen schien das Gesicht in dem Teebecher das
eines jungen Samurais zu sein; es war seltsam ausdrucksvoll und überaus schön
— dabei zart wie das eines Mädchens.
Es schien die Spiegelung eines lebenden Antlitzes zu sein, denn Lippen und
Augen bewegten sich.
Verwirrt durch die Seltsamkeit dieses Begebnisses prüfte Sekinai sorgfältig
das Äußere des Gefäßes. Es war ohne Zweifel ein ganz billiger Wasserbecher
und trug keinerlei Anzeichen, die auf künstlerische Herstellung hingewiesen
hätten.
Sekinai füllte ein anderes Gefäß, und wiederum blickte ihm aus dem Tee
das Gesicht entgegen; er ließ frischen Tee kommen, füllte ihn in den Becher
ein — und abermals erschien das fremde Gesicht darin.
Diesmal mit einem unverkennbar spöttischen Ausdruck.
Aber Sekinai war nicht leicht zu erschrecken und hatte sich vollkommen in
der Gewalt. — „Wer du auch seist,“ murmelte er, „lange sollst du mich nicht
zum besten haben“ — dabei schluckte er den Tee, das Gesicht und was sich
sonst noch gespiegelt hatte hinunter und ging seines Wegs, gewissermaßen neu-
gierig, ob er vielleicht am Ende gar einen Geist verschlungen habe.
Spät am Abend desselben Tages wurde Sekinai, als er im Schlosse des
Grafen Nakawa noch wach war, durch das geräuschlose Eintreten eines Frem-
den überrascht. Dieser Eindringling, ein reich gekleideter junger Samurai,
setzte sich ohne weitere Umstände ihm gegenüber, nachdem er ihn mit einer
leichten Verbeugung begrüßt hatte.
„Ich bin Shikibu Heinai,“ begann er, „und bin Ihnen heute zum erstenmal
begegnet. — — Sie scheinen sich aber meiner nicht mehr zu entsinnen.“
Er sprach mit sehr leiser, aber ungemein durchdringender Stimme.
Sekinai war erstaunt, dasselbe böse, wenn auch schöne Gesicht wiederum vor
sich zu sehen, das er bereits in der Teetasse erblickt und — getrunken hatte.
Es lächelte auch jetzt — genau so, wie es als Phantom gelächelt hatte, aber
der unverwandte fixierende Blick der Augen war — im Gegensatz zu dem
Lächeln der Lippen — eine Herausforderung und eine Beleidigung zugleich.
„Nein, ich entsinne mich Ihrer nicht,“ erwiderte Sekinai, innerlich wütend,
jedoch äußerlich kalt, „aber vielleicht haben Sie die Güte, mir mitzuteileni,
wer Ihnen erlaubt hat, in das Zimmer hier zu kommen!“ — Er glaubte sich
zu dieser Frage um so mehr berechtigt, als in den damaligen feudalen Zeiten die
Residenz eines Grafen zu jeglicher Stunde aufs strengste bewacht war und nie-
mand unangemeldet eintreten konnte, es sei denn infolge unverantwortlicher Nach-
lässigkeit seitens der waffentragenden Dienerschaft.
„Ah, Sie erkennen mich also nicht!“ höhnte der Fremde und rückte ein
wenig näher, „natürlich, Sie erkennen mich nicht! Trotzdem Sie mir heute
morgen eine tödliche Beleidigung zugefügt haben! — — —“
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