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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Bessmertny, Alexander: Der Marquis de Sade
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#0483

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Foltern aus den Fenstern warf, so gehört doch schon die um geschichtliche
Kausalzusammenhänge unbesorgte Phantastik eines zeitgenössischen Stilisten dazu,
den Marquis de Sade mit seinen Kassibern als Erreger des Bastille-Sturmes zu
bezeichnen.

Sade war von 1784 bis 1790 in Charenton. Hier und schon in früheren
Gefängnissen betrieb er seine Schriftstellerei mit der Produktivität eines Ero-
tomanen und Graphomanen. Außer seinen Romanen schrieb er vier unwesent-
liche und wesenlose Komödien, von denen eine — „Les Malheurs de Liber-
tinage“ — sogar Bühnenerfolg hatte. Berühmt bis heute wird er durch die
Produkte seiner Pornographomanie: „Justine“ (1791), „Philosophie dans le
Boudoir“ (1795), „Juliette“ (1796). Erst 1904 veröffentlichte Iwan Bloch
das vom ihm entdeckte Manuskript der „120 Tage von Sodom“, das vor kurzem

auf einer Berliner Auktion ausgeboten wurde, ohne einen Käufer zu finden.

Im Jahre 1800 erscheint der

Roman „Zoloe et ses deux Acolytes“.

Unter

durchsichtigen Namen schil-
dert er durchaus von ihm
erfundene Orgien Napoleons,
der Josephine Beauharnais
und anderer Personen des
Direktoriums. Auf direkten
Befehl Napoleons unter-
nimmt der Polizeipräfekt Du-
bois eine Haussuchung bei
Sades Verleger Masse, fin-
det obszöne Bücher und
eigenhändige Manuskripte de
Sades, darunter das Manu-
skript der „Juliette“, dessen
Fund für Sade um so kom-
promittierender ist, als er die
Autorschaft dieses Romans
gerade in Pariser Zeitungen
abgeleugnet hatte. Es wer-


den außerdem noch andere,

unbekannt gebliebene Manuskripte, darunter auch ein politisches, „Mes Caprices
ou un peu de Tout“, gefunden. Auch in Sades Landhaus in St. Quen werden
pornographische Manuskripte und Gobelins mit obszönen Darstellungen aus der
„Justine“ gefunden. Die beiden Haussuchungsprotokolle, die aus dem Nachlaß
Iwan Blochs stammen, geben über diese Vorgänge genaue Auskunft. Die Gegner-
schaft Sade—Napoleon endet damit, daß Sade am 2. April 1801 auf admini-
strativem Wege interniert, schließlich im Mai 1801 wieder in die Irrenanstalt
Charenton übergeführt wird, wo er bis zu seinem im Dezember 1814 erfolgten
Tode bleibt. Dort hatte er übrigens Gelegenheit, unter dem Schutze des
Direktors der Irrenanstalt, der Abbe, Sade-Verehrer und hinreichend spleenig
war, mit Internierten als Darstellern seine Komödien aufzuführen.
Im ganzen hat Sade von den über 70 Jahren seines Lebens 27 in Gefangen-
schaft zugebracht.
Sein Ruhm mag ebenso wie der Sacher-Masochs all denen ein Ansporn sein,
die durch eine nur hinreichend betriebsam publizierte Spezialität unsterblich

werden wollen.

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