Das kommt besonders stark in der Frage des „Genre“ und der Sprache
zum Ausdruck.
In solchen in Gärung befindlichen Epochen wie der unserigen, voller Er-
neuerungsprozesse, entsteht immer das Bedürfnis nach neuer Art. Der alte
Roman aus ruhiger Großmutterzeit, die alte wohlanständige und mundgerechte
Erzählung befriedigen uns nicht mehr. Das Leben verzichtet auf fertige
Lösungen, es mag keine fertigen Dinge, im Gegenteil, es gibt Unfertigem den
Vorzug.
Aber trotzdem werden Versuche unternommen, „geschlossene“ Arbeiten zu
bringen. Doch sie verbrauchen sich rasch. Und zwar tun sie das trotz des
großen Interesses, das zum Beispiel den westlichen Abenteuer-Romanen von
Seiten der Leser entgegengebracht wird. (Vor einem Jahr hatte der talentlose
„Tarzan“ in Rußland ungeheuren Erfolg.) Wir können da etwas sehr Inter-
essantes beobachten: die „geschlossenen“ Arbeiten aus dem Westen halten sich
bei uns länger als die unsrigen. Bei uns wird größerer Wert auf den literari-
schen „Rohstoff“ gelegt.
Einen „westlichen“ Roman gab uns Ilja E h r e n b u r g. Sein Roman „Die
ungewöhnlichen Erlebnisse des Julio Jurenito“ erzielte einen außerordentlichen
Erfolg. Der Leser war ermüdet durch die gewissenhaft-psychologische Über-
ladung der alten Erzählungen. Ehrenburg mildert die Überladung von alt-
modischer „Ernsthaftigkeit“; in der Todesstunde seines Helden fließt kein Blut,
sondern feuilletonistische Tinte, er nimmt seinem Helden die alte Psychologie
und er durchtränkt sie statt dessen von A bis Z mit philosophischer Ironie.
„Julio Jurenito“ war der Zugwind, der die Luft gereinigt hat.
Es ist bemerkenswert, daß der Abenteuer-Roman in Rußland die Schutzfärbung
„westlich“ annehmen muß, um glaubwürdig zu erscheinen. „Meß Mend“ z. B.
hat eine russische Schriftstellerin zur Verfasserin. Der Roman war nicht einmal
ein Roman, es war ein überaus in die Länge gezogenes Feuilleton. Das war offen-
bar notwendig als Beweis, daß der „ernste“ Roman eine „abgetane“ Angelegen-
heit war.
Aber gerade hier in dem Feuilletonwust des Romans wird die Gefahr be-
merkbar, die Ehrenburg nunmehr droht. Dieses in Eile zusammengetragene
Gepäck (Dostojewskij, Nietzsche, Claudel, Spengler) enthielt lauter fertige Sachen.
Eine solche geschlossene Sache war auch sein „Trust D. E.“, die Geschichte
vom Untergang Europas — ein Auszug aus „Julio Jurenito“, geistvoll; aber hier
zeigte es sich deutlich, daß die aller Psychologie baren Helden zu leicht sind; ihre
unmotivierten Handlungen und Umstellungen konnten beim Leser keinen Glauben
mehr finden.
Charakteristisch für das Schicksal eines geschlossenen „interessanten“ Romans
sind die Arbeiten Alexei Tolstojs. Gerade weil er seine Werke in zweierlei
Gruppen teilen kann, in „geschlossene“ und „unabgeschlossene“. Zu den „ge-
schlossenen“ zählt sein Roman „Aelita“, der viel Staub aufgewirbelt hat, und
die Erzählung „Sieben Tage, in denen die Welt beraubt worden ist“, die jetzt
erscheint. Dieser letzte Titel ist eine Umkomposition von John Reads bekanntem
Buch, das den Titel trägt „Zehn Tage, in denen sich die Welt gewandelt hat“.
In ,,Aelita“ sowie auch in den „Sieben Tagen“ ist das Thema überaus phan-
tastisch, überaus kinohaft: soziale Revolution russischer Revolutionäre auf dem
Mars im ersten Werk, und im zweiten: Untergang des Mondes, veranlaßt durch
irdische Börsenspekulanten, um die Börse auf der Erde zu terrorisieren.
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zum Ausdruck.
In solchen in Gärung befindlichen Epochen wie der unserigen, voller Er-
neuerungsprozesse, entsteht immer das Bedürfnis nach neuer Art. Der alte
Roman aus ruhiger Großmutterzeit, die alte wohlanständige und mundgerechte
Erzählung befriedigen uns nicht mehr. Das Leben verzichtet auf fertige
Lösungen, es mag keine fertigen Dinge, im Gegenteil, es gibt Unfertigem den
Vorzug.
Aber trotzdem werden Versuche unternommen, „geschlossene“ Arbeiten zu
bringen. Doch sie verbrauchen sich rasch. Und zwar tun sie das trotz des
großen Interesses, das zum Beispiel den westlichen Abenteuer-Romanen von
Seiten der Leser entgegengebracht wird. (Vor einem Jahr hatte der talentlose
„Tarzan“ in Rußland ungeheuren Erfolg.) Wir können da etwas sehr Inter-
essantes beobachten: die „geschlossenen“ Arbeiten aus dem Westen halten sich
bei uns länger als die unsrigen. Bei uns wird größerer Wert auf den literari-
schen „Rohstoff“ gelegt.
Einen „westlichen“ Roman gab uns Ilja E h r e n b u r g. Sein Roman „Die
ungewöhnlichen Erlebnisse des Julio Jurenito“ erzielte einen außerordentlichen
Erfolg. Der Leser war ermüdet durch die gewissenhaft-psychologische Über-
ladung der alten Erzählungen. Ehrenburg mildert die Überladung von alt-
modischer „Ernsthaftigkeit“; in der Todesstunde seines Helden fließt kein Blut,
sondern feuilletonistische Tinte, er nimmt seinem Helden die alte Psychologie
und er durchtränkt sie statt dessen von A bis Z mit philosophischer Ironie.
„Julio Jurenito“ war der Zugwind, der die Luft gereinigt hat.
Es ist bemerkenswert, daß der Abenteuer-Roman in Rußland die Schutzfärbung
„westlich“ annehmen muß, um glaubwürdig zu erscheinen. „Meß Mend“ z. B.
hat eine russische Schriftstellerin zur Verfasserin. Der Roman war nicht einmal
ein Roman, es war ein überaus in die Länge gezogenes Feuilleton. Das war offen-
bar notwendig als Beweis, daß der „ernste“ Roman eine „abgetane“ Angelegen-
heit war.
Aber gerade hier in dem Feuilletonwust des Romans wird die Gefahr be-
merkbar, die Ehrenburg nunmehr droht. Dieses in Eile zusammengetragene
Gepäck (Dostojewskij, Nietzsche, Claudel, Spengler) enthielt lauter fertige Sachen.
Eine solche geschlossene Sache war auch sein „Trust D. E.“, die Geschichte
vom Untergang Europas — ein Auszug aus „Julio Jurenito“, geistvoll; aber hier
zeigte es sich deutlich, daß die aller Psychologie baren Helden zu leicht sind; ihre
unmotivierten Handlungen und Umstellungen konnten beim Leser keinen Glauben
mehr finden.
Charakteristisch für das Schicksal eines geschlossenen „interessanten“ Romans
sind die Arbeiten Alexei Tolstojs. Gerade weil er seine Werke in zweierlei
Gruppen teilen kann, in „geschlossene“ und „unabgeschlossene“. Zu den „ge-
schlossenen“ zählt sein Roman „Aelita“, der viel Staub aufgewirbelt hat, und
die Erzählung „Sieben Tage, in denen die Welt beraubt worden ist“, die jetzt
erscheint. Dieser letzte Titel ist eine Umkomposition von John Reads bekanntem
Buch, das den Titel trägt „Zehn Tage, in denen sich die Welt gewandelt hat“.
In ,,Aelita“ sowie auch in den „Sieben Tagen“ ist das Thema überaus phan-
tastisch, überaus kinohaft: soziale Revolution russischer Revolutionäre auf dem
Mars im ersten Werk, und im zweiten: Untergang des Mondes, veranlaßt durch
irdische Börsenspekulanten, um die Börse auf der Erde zu terrorisieren.
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