russische Futurismus bedeutet ein Sichlosreißen von der vermittelnden Vers-
Kultur des neunzehnten Jahrhunderts. Das grandiose Bild der Poesie, das das neun-
zehnte Jahrhundert erfüllt hat, und das im zwanzigsten Jahrhundert seine Form
und Bedeutung verlor, wurde durch Majakowskij erneuert. Sein Volksversamm-
lungsvers, sein schreiender Vers mit der groben Schmähsprache, die sich so
scharf abhebt von dem großartigen „kosmischen Bild“, weist keine Verwandt-
schaft mit dem Vers des neunzehnten Jahrhunderts auf. Es ist natürlich und
findet seine Erklärung in Majakowskijs poetischer Persönlichkeit, daß in seinen
Werken die poetische Auflehnung mit der sozialen Revolution zusammenklingt.
Bei Majakowskij ruht der Vers auf einem besonderen System. — Das Wort, das
den Raum eines Verses beansprucht, ist dem Satze angeformt, der nicht mehr
als diesen einen Vers bildet. Seine Stärke liegt in der Verbindung von Ode und
Satire, von Komik und geballter Rhetorik.
Die literarische Revolte Chljebnikoffs und Majakowskijs hat die „Buch“-
Sprache aus den Angeln gehoben. Darauf basiert die Neigung des früheren
futuristischen Zentrums zum „Gegenstand“, zur „Lebendigkeit“, zum „Betrieb“,
die Neigung sich von der Literatur zu entfernen (z. B. die „Konstruktidnisten
des Ljeff“). Gleichzeitig besteht auch der Wunsch, von der Übertreibung im
Stil loszukommen und vom Standpunkt der Historie aus auf der neuen Schicht
der poetischen Kultur weiterzuschreiten, wieder an das neunzehnte Jahrhundert
anzuknüpfen, ohne es jedoch als Gesetz anzuerkennen, aber auch ohne sich der
Verwandtschaft mit den Vätern zu schämen.
Darin liegt die Mission Pasternaks, eines Dichters, der den Futuristen
nahesteht.
Pasternaks Lieblingslandschaft ist der Regenguß, unter dem sich alle Dinge
vermischen. Sein Vers macht von der futuristischen Eroberung des Lautes viel
Gebrauch; bei ihm vereinigt der Klang die Dinge, bringt sie in zufällige und
doch deutliche Verbindung.
Nikolai Tichonoff, der zum Kreis der „Serapionsbrüder“ gehört, hat eine
neue Art der „Ballade“ eingeführt. Das Wort hat fast jede Färbung des Verses
eingebüßt, um nur zum Ausgangspunkt des Inhalts zu werden. Das Thema eilt
ohne Aufenthalt über alle Zeilen hinweg dem raschen Ende zu. Tichonoff hat
der Revolution verwandte scharfe Kampfworte geprägt; Revolution und zurp Teil
der Krieg sind die Themen Tichonoffscher Balladen.
Interessant ist bei einem anderen Dichter die Wendung zu einem neuen Genre,
Abkehr in entgegengesetzter Richtung. Einer der bekanntesten Dichter des
futuristischen Zentrums ist N.Assjejeff, ein Dichter, der bis zum springen-
den, singenden Wort vorgedrungen ist. Wir finden bei ihm Gedichte, in denen
sich Worte-Knäuel in einzelne melodische Zeilen auflösen, von denen jede aus
einem einzelnen Wort besteht. Assjejeffs Ballade ist wie ein Lied. Die einzelnen
kleinen Kapitel der Ballade unterscheiden sich voneinander durch die Melodie;
die Melodie illustriert den Stoff, wie es die Musik im Kino tut. (Das zeigt seine
„Ballade vom schwarzen Prinzen“.) Jetzt geht Assjejeff zum Poem über.
Genre entsteht nicht auf Wunsch, es geht ihm eine mühevolle und langwierige
Kultur des Wortes voraus, die erst nach endgültigem Erfassen aller Eigenheiten
zum Genre führt.
Die neuen Arten entstehen dann sporadisch.
Ist ein Abschluß nötig ? Ist ein Punkt notwendig, um eine Abhandlung über
die Literatur abzuschließen, die in steter Bewegung begriffen ist, sich verändert
und gierig nach dem Leben Ausschau hält? (Übersetzt von Ida Orloff.)
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Kultur des neunzehnten Jahrhunderts. Das grandiose Bild der Poesie, das das neun-
zehnte Jahrhundert erfüllt hat, und das im zwanzigsten Jahrhundert seine Form
und Bedeutung verlor, wurde durch Majakowskij erneuert. Sein Volksversamm-
lungsvers, sein schreiender Vers mit der groben Schmähsprache, die sich so
scharf abhebt von dem großartigen „kosmischen Bild“, weist keine Verwandt-
schaft mit dem Vers des neunzehnten Jahrhunderts auf. Es ist natürlich und
findet seine Erklärung in Majakowskijs poetischer Persönlichkeit, daß in seinen
Werken die poetische Auflehnung mit der sozialen Revolution zusammenklingt.
Bei Majakowskij ruht der Vers auf einem besonderen System. — Das Wort, das
den Raum eines Verses beansprucht, ist dem Satze angeformt, der nicht mehr
als diesen einen Vers bildet. Seine Stärke liegt in der Verbindung von Ode und
Satire, von Komik und geballter Rhetorik.
Die literarische Revolte Chljebnikoffs und Majakowskijs hat die „Buch“-
Sprache aus den Angeln gehoben. Darauf basiert die Neigung des früheren
futuristischen Zentrums zum „Gegenstand“, zur „Lebendigkeit“, zum „Betrieb“,
die Neigung sich von der Literatur zu entfernen (z. B. die „Konstruktidnisten
des Ljeff“). Gleichzeitig besteht auch der Wunsch, von der Übertreibung im
Stil loszukommen und vom Standpunkt der Historie aus auf der neuen Schicht
der poetischen Kultur weiterzuschreiten, wieder an das neunzehnte Jahrhundert
anzuknüpfen, ohne es jedoch als Gesetz anzuerkennen, aber auch ohne sich der
Verwandtschaft mit den Vätern zu schämen.
Darin liegt die Mission Pasternaks, eines Dichters, der den Futuristen
nahesteht.
Pasternaks Lieblingslandschaft ist der Regenguß, unter dem sich alle Dinge
vermischen. Sein Vers macht von der futuristischen Eroberung des Lautes viel
Gebrauch; bei ihm vereinigt der Klang die Dinge, bringt sie in zufällige und
doch deutliche Verbindung.
Nikolai Tichonoff, der zum Kreis der „Serapionsbrüder“ gehört, hat eine
neue Art der „Ballade“ eingeführt. Das Wort hat fast jede Färbung des Verses
eingebüßt, um nur zum Ausgangspunkt des Inhalts zu werden. Das Thema eilt
ohne Aufenthalt über alle Zeilen hinweg dem raschen Ende zu. Tichonoff hat
der Revolution verwandte scharfe Kampfworte geprägt; Revolution und zurp Teil
der Krieg sind die Themen Tichonoffscher Balladen.
Interessant ist bei einem anderen Dichter die Wendung zu einem neuen Genre,
Abkehr in entgegengesetzter Richtung. Einer der bekanntesten Dichter des
futuristischen Zentrums ist N.Assjejeff, ein Dichter, der bis zum springen-
den, singenden Wort vorgedrungen ist. Wir finden bei ihm Gedichte, in denen
sich Worte-Knäuel in einzelne melodische Zeilen auflösen, von denen jede aus
einem einzelnen Wort besteht. Assjejeffs Ballade ist wie ein Lied. Die einzelnen
kleinen Kapitel der Ballade unterscheiden sich voneinander durch die Melodie;
die Melodie illustriert den Stoff, wie es die Musik im Kino tut. (Das zeigt seine
„Ballade vom schwarzen Prinzen“.) Jetzt geht Assjejeff zum Poem über.
Genre entsteht nicht auf Wunsch, es geht ihm eine mühevolle und langwierige
Kultur des Wortes voraus, die erst nach endgültigem Erfassen aller Eigenheiten
zum Genre führt.
Die neuen Arten entstehen dann sporadisch.
Ist ein Abschluß nötig ? Ist ein Punkt notwendig, um eine Abhandlung über
die Literatur abzuschließen, die in steter Bewegung begriffen ist, sich verändert
und gierig nach dem Leben Ausschau hält? (Übersetzt von Ida Orloff.)
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