schreien. Aber sie sind wohl zu tief in der Fachliteratur vergraben, um mühelos
erreichbar zu sein. Und noch ein Punkt muß hier gestreift werden. Man ist heute
leicht geneigt, überall Totemismus zu wittern, wo in Zeremonien, in Mythos und
Dichtung oder in der bildenden Kunst, Tiere wie Menschen redend und handelnd
auftreten oder umgekehrt Menschen als Tiere erscheinen. Es gibt allerdings Kul-
turen, die durchweg oder größtenteils totemistisch sind, wie z. B. die der Indianer
Nordwestamerikas, deren künstlerischen, auch für europäisches Empfinden im gan-
zen erfreulichen Niederschlag ich in meinem Buche ,,Nordwestamerikanische In-
dianerkunst“ (Orbis Pictus Bd. 17) gezeigt habe. Neuerdings hat es die sogenannte
Kulturkreislehre unternommen, nachzuweisen, daß sich bei totemistisch organisier-
ten Völkern gewisse
übereinstimmende Kulturgüter finden, an denen sich tote-
mistische Kulturkreise
über weite Gebiete hin unterscheiden lassen. Zur Einführung
verweise ich auf
das soeben erschie-
nene neue Werk
von Fritz Graeb-
ner ,,Das Welt-
bild der Primitiven“
(München, Ernst
Reinhardt, 1924).
Grundsätzlich heißt
es vorsichtig sein,
wenn nur äußere
Anklänge gegeben
sind, die inneren
W esensmerkmale
indessen fehl en.Der
Wolf im Märchen
vom Rotkäppchen
ist ebensowenig
ein Totemtier wie
ähnliche Gestalten,
auch die tierköpfi-
gen ägyptischen
Götter sind keine
Totems, und hin-
sichtlich der euro-
päischen Wappen-
tiere ist es wenig-
stens sehr unwahr-
scheinlich, daß
sie auf alten To-
temismus zurück-
gehen. Auch Chri-
„Im Tierkostüm“
ist vielleicht zwar
mehr als nur ,,köst-
lich blühenderBlöd-
sinn“, wie Johan-
nes Schlaf urteilte,
vielleicht wer-
den hier wirklich,
wie Karl Christian
Bry, der einzige
tiefer schürfende
Kritiker des,,Palm-
ström“, schrieb,
„kleine,lächerliche,
verrückte Dinge
zum Ausdruck des
großen und tie-
fen Weltgefühls ge-
macht“. Aber man
würde doch fehl-
greifen, wollte man
hier Anklänge an
totemistisches Den-
ken suchen, wenn
Palmström Tiere
nachahmt, bald als
Rabe auf einer
Eiche sitzt, bald als
Karpfen sich von
den Kindern füt-
tern oder als Storch
sich von einem Luft-
stian Morgensterns
Palmström-Gedicht
Schüssel aus Zedernholz in Robbengestalt
Sammlung Leonh. Adam
schiff nach Ägyp-
ten tragen läßt.
585
erreichbar zu sein. Und noch ein Punkt muß hier gestreift werden. Man ist heute
leicht geneigt, überall Totemismus zu wittern, wo in Zeremonien, in Mythos und
Dichtung oder in der bildenden Kunst, Tiere wie Menschen redend und handelnd
auftreten oder umgekehrt Menschen als Tiere erscheinen. Es gibt allerdings Kul-
turen, die durchweg oder größtenteils totemistisch sind, wie z. B. die der Indianer
Nordwestamerikas, deren künstlerischen, auch für europäisches Empfinden im gan-
zen erfreulichen Niederschlag ich in meinem Buche ,,Nordwestamerikanische In-
dianerkunst“ (Orbis Pictus Bd. 17) gezeigt habe. Neuerdings hat es die sogenannte
Kulturkreislehre unternommen, nachzuweisen, daß sich bei totemistisch organisier-
ten Völkern gewisse
übereinstimmende Kulturgüter finden, an denen sich tote-
mistische Kulturkreise
über weite Gebiete hin unterscheiden lassen. Zur Einführung
verweise ich auf
das soeben erschie-
nene neue Werk
von Fritz Graeb-
ner ,,Das Welt-
bild der Primitiven“
(München, Ernst
Reinhardt, 1924).
Grundsätzlich heißt
es vorsichtig sein,
wenn nur äußere
Anklänge gegeben
sind, die inneren
W esensmerkmale
indessen fehl en.Der
Wolf im Märchen
vom Rotkäppchen
ist ebensowenig
ein Totemtier wie
ähnliche Gestalten,
auch die tierköpfi-
gen ägyptischen
Götter sind keine
Totems, und hin-
sichtlich der euro-
päischen Wappen-
tiere ist es wenig-
stens sehr unwahr-
scheinlich, daß
sie auf alten To-
temismus zurück-
gehen. Auch Chri-
„Im Tierkostüm“
ist vielleicht zwar
mehr als nur ,,köst-
lich blühenderBlöd-
sinn“, wie Johan-
nes Schlaf urteilte,
vielleicht wer-
den hier wirklich,
wie Karl Christian
Bry, der einzige
tiefer schürfende
Kritiker des,,Palm-
ström“, schrieb,
„kleine,lächerliche,
verrückte Dinge
zum Ausdruck des
großen und tie-
fen Weltgefühls ge-
macht“. Aber man
würde doch fehl-
greifen, wollte man
hier Anklänge an
totemistisches Den-
ken suchen, wenn
Palmström Tiere
nachahmt, bald als
Rabe auf einer
Eiche sitzt, bald als
Karpfen sich von
den Kindern füt-
tern oder als Storch
sich von einem Luft-
stian Morgensterns
Palmström-Gedicht
Schüssel aus Zedernholz in Robbengestalt
Sammlung Leonh. Adam
schiff nach Ägyp-
ten tragen läßt.
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