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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Orazi, Vittorio: Italienisches Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#0879

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Den Tragödien Gabriele d’Annunzios, die den Willen zu leben und zu herrschen
preisen, stehen die Tragödien der Lebensunfähigkeit und Lebenssehnsucht von
Sem Benelli, Morselli und Pifandello gegenüber.
Die Sehnsucht nach dem heroischen Leben und die Unfähigkeit, es zu leben,
bringt Morselli in Form von Idyllen und Fabeln, über die eine tiefe Melancholie,
gebreitet ist, zum künstlerischen Ausdruck. Es sind heidnische Visionen, in denen
sich alle heroischen Phantome mit sanfter Sicherheit auflösen. „Orione“ und
,,Glaucoa schildern die tragische Katastrophe des Halbgottes, seinen vergeblichen
Kampf, Welt, Ruhm und Schätze zu erobern.
Sem Benelli, ein mehr lyrisches als dramatisches Temperament, versucht seiner
wesentlich dichterischen Erfahrung bühnenwirksame Form und allgemein meta-
physische Bedeutung zu geben. Seine tragische Idee ist jene einer Menschheit, die,

dem Bösen verfallen, vergebens nach Er-
lösung strebt, und die, da es ihr nicht
gelingt, sich zu befreien, den Schmerz um
das verlorene Paradies mit der finstern und
bittern Freude einer Bosheit vertauscht,
die immer kälter und teuflischer wird.
Es ist die Tragödie der Unfähigkeit,
ein hohes, reines und edles Leben zu
leben, eine Unfähigkeit, die, bevor sie
sich der Hölle der Bosheit überläßt, sich
wehrt, hofft und sich Visionen macht.
Die Verkettungen bei Sem Benelli sind
rein äußerlich, die Gegensätze und die
Entwicklungen erfunden; das Drama er-
schöpft sich in Selbstbeschreibungen. In
seinen Dramen: ,,La tnaschera di Bratole,
„La cena delle befje“, „L’amore del
tre reil und „Le nozze del centauri“
offenbart sich am anschaulichsten der
Ausdruck einer kalten, verzweifelten
Bitterkeit, aber auch jene lyrische und
vibrierende Erregung, die das wahre
Merkmal des Dichters ist.


Das Theater d’Annunzios, Morsellis und Benellis bildet das italienische „Theater
der Dichtung“, wie man es genannt hat. Es hat den Weg für das neue Theater
bereitet, das sich „das Problem des Geistes“ in seiner Gesamtheit und Vollständig-
keit zur Aufgabe macht.
Betrachten wir den Willen zum Leben in dem Augenblick, wo er sich gegen
die Gesetze der gesellschaftlichen Ordnung, gegen Moral und Religion aufbäumt
und sie zu brechen versucht, so werden wir das „neue Theater“ das „Theater des
Grotesken“, das Theater Pirandellos nennen.
Dennoch verwirklichen diese drei Formen des Theaters dieselbe Erkenntnis
vom Leben, packen es aber an verschiedenen Momenten seiner Entwicklung an.
Sie verkünden dieselbe irrationale, bewußte und antibürgerliche Weltanschauung,
kommen aber am Ende zu einer völlig verschiedenen Vision von der Welt.
Für Pirandello besteht die innere Notwendigkeit, sich eine Grenze zu ziehen,
sich eine Form zu schaffen, an die er sich gleichzeitig gebunden fühlt, und die
man vergeblich analysieren würde, wollte man ihre einfache Klarheit ergründen.

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