riesiges Register einzutragen und dann eine ganze Reihe knarrender und
quietschender Tourniquets zu passieren.
Die anderen ? Die Masse ? Die anderen sperrt man in Käfige. Im
Hintergrund des Saales, zwei Stockwerke über dem Throne des Speaker,
befinden sich ein paar Reihen amphitheatralisch angeordneter Bänkchen,
welche das Publikum enthalten, von der Welt und vom Saale abgesperrt
durch ein enges Gitter, das von weitem den Eindruck eines strengen
gotischen Bauwerks mit dicht aneinandergerückten Fenstern erweckt.
Durch diesen unwahrscheinlichen Verschlag sieht das in dem ersticken-
den Käfig eingeschlossene Publikum von dem ganzen Saale nichts als
ein paar Reihen von Bänken auf der entgegengesetzten Seite. Kann es
nun von der Höhe dieses Zufluchtsortes aus, den Westminster ihm be-
reitet hat, auf daß es weder sehe noch gesehen werde, die Stimmen der
Redner hören ? Dazu würden mindestens schon ungewöhnlich gute Ohren
gehören. Denn im englischen Parlament ist einer um so mehr Gentleman,
je leiser er spricht und mit einem um so geringeren Aufwand an .Ge-
bärden. Der Redner würde übrigens gar nicht genügend Platz haben,
um mit den Armen zu fuchteln (wie sein lateinischer Kollege), und noch
weniger, um seinem geliebten Korpus einnehmende und ausdrucksvolle
Stellungen zu geben. Er spricht also, indem er die Hände in den Taschen
behält oder allerhöchstens nachlässig mit seiner Uhrkette spielt, was
seinem Nachbar unter keinen Umständen gefährlich werden kann. Man
sagt in England, für den Abgeordneten seien die Hände unnütz.
Die Hände des Abgeordneten, die während des Krieges ausnahmsweise
aktiv geworden waren, um den „patriotischen“ Reden Lloyd Georges Beifall
zu klatschen, haben sich seit dem Friedensschluß wieder zurückgebildet,
und heute haben sie kaum noch die Kraft, mit einer Uhrkette zu spielen,
eine Uhrkette zu kitzeln, ein Schlüsselbund zittern oder ein paar Schilling
in der Tasche der politischen Rosen tanzen zu lassen. Der Deputierte
braucht nichts als einen Mund und Füße. Seine Pflicht besteht vor
allem darin, seinen Beifall oder sein Mißfallen kundzugeben. Das tut
er, indem er entweder in zwei- oder dreifacher Wiederholung einen gut-
turalen Laut: Uh! Uh! Uh! ausstößt, welchen der offizielle Bericht
des nächsten Morgens als „Beifall“ oder „Heiterkeit“ registriert, oder in-
dem er mit den Füßen auf den Boden trampelt, was in der parlamen-
tarischen Sprache mit „Zeichen von Aufmerksamkeit, Widerspruch“, oder
in reinerem politischen Jargon mit „allgemeiner Lärm“ zu übersetzen ist.
So also erscheint diese alte und ruhmreiche Institution, das britische
Parlament, dem Auge eines unbefangenen Beobachters, der sich aber
rühmt, warmes Blut und ein anormal unpolitisches Gehirn zu besitzen.
Und um dieses ernste Thema vom Leben und von den Sitten des ruhm-
reichen Greises Westminster, dieses einzigen Überlebenden der sagen-
haften Helden, würdig zu beschließen, wiederholt er auf seine Art die
Beschwörungsformel des Islam: Westminster ist groß, und der Speaker
ist sein Prophet. (Deutsch von Berta Besstnertny.)
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quietschender Tourniquets zu passieren.
Die anderen ? Die Masse ? Die anderen sperrt man in Käfige. Im
Hintergrund des Saales, zwei Stockwerke über dem Throne des Speaker,
befinden sich ein paar Reihen amphitheatralisch angeordneter Bänkchen,
welche das Publikum enthalten, von der Welt und vom Saale abgesperrt
durch ein enges Gitter, das von weitem den Eindruck eines strengen
gotischen Bauwerks mit dicht aneinandergerückten Fenstern erweckt.
Durch diesen unwahrscheinlichen Verschlag sieht das in dem ersticken-
den Käfig eingeschlossene Publikum von dem ganzen Saale nichts als
ein paar Reihen von Bänken auf der entgegengesetzten Seite. Kann es
nun von der Höhe dieses Zufluchtsortes aus, den Westminster ihm be-
reitet hat, auf daß es weder sehe noch gesehen werde, die Stimmen der
Redner hören ? Dazu würden mindestens schon ungewöhnlich gute Ohren
gehören. Denn im englischen Parlament ist einer um so mehr Gentleman,
je leiser er spricht und mit einem um so geringeren Aufwand an .Ge-
bärden. Der Redner würde übrigens gar nicht genügend Platz haben,
um mit den Armen zu fuchteln (wie sein lateinischer Kollege), und noch
weniger, um seinem geliebten Korpus einnehmende und ausdrucksvolle
Stellungen zu geben. Er spricht also, indem er die Hände in den Taschen
behält oder allerhöchstens nachlässig mit seiner Uhrkette spielt, was
seinem Nachbar unter keinen Umständen gefährlich werden kann. Man
sagt in England, für den Abgeordneten seien die Hände unnütz.
Die Hände des Abgeordneten, die während des Krieges ausnahmsweise
aktiv geworden waren, um den „patriotischen“ Reden Lloyd Georges Beifall
zu klatschen, haben sich seit dem Friedensschluß wieder zurückgebildet,
und heute haben sie kaum noch die Kraft, mit einer Uhrkette zu spielen,
eine Uhrkette zu kitzeln, ein Schlüsselbund zittern oder ein paar Schilling
in der Tasche der politischen Rosen tanzen zu lassen. Der Deputierte
braucht nichts als einen Mund und Füße. Seine Pflicht besteht vor
allem darin, seinen Beifall oder sein Mißfallen kundzugeben. Das tut
er, indem er entweder in zwei- oder dreifacher Wiederholung einen gut-
turalen Laut: Uh! Uh! Uh! ausstößt, welchen der offizielle Bericht
des nächsten Morgens als „Beifall“ oder „Heiterkeit“ registriert, oder in-
dem er mit den Füßen auf den Boden trampelt, was in der parlamen-
tarischen Sprache mit „Zeichen von Aufmerksamkeit, Widerspruch“, oder
in reinerem politischen Jargon mit „allgemeiner Lärm“ zu übersetzen ist.
So also erscheint diese alte und ruhmreiche Institution, das britische
Parlament, dem Auge eines unbefangenen Beobachters, der sich aber
rühmt, warmes Blut und ein anormal unpolitisches Gehirn zu besitzen.
Und um dieses ernste Thema vom Leben und von den Sitten des ruhm-
reichen Greises Westminster, dieses einzigen Überlebenden der sagen-
haften Helden, würdig zu beschließen, wiederholt er auf seine Art die
Beschwörungsformel des Islam: Westminster ist groß, und der Speaker
ist sein Prophet. (Deutsch von Berta Besstnertny.)
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