ganzer Völker um die Hauptrolle ringen, wogt durch die geschichtlich,
psychologisch und menschlich gleich wertvollen Aufzeichnungen Paleo-
logues. Er selbst, an seine Hauptaufgabe gekettet, die Lockerung der
widernatürlichsten „Entente“ der modernen Weltgeschichte zu verhüten,
den Abfall des widerwillig, mit mystischem Todesahnen in den Krieg
hineingehetzten Zaren vom „Kampf um Freiheit und. Demokratie“ mit
allen Mitteln unmöglich zu machen, wird häufig von der Gewalt der Er-
eignisse, von den Melodien der „russischen Seele“ ergriffen. Paleologue
kam nach Petersburg rechtzeitig genug, um die euphoristischen Höhe-
punkte des Zarismus vor dessen rettungslosem Sturz in den Abgrund zu
erleben. Seine Stellung ermöglichte ihm, die letzten Feste der Träger einer
Treibhauskultur, der russischen Aristokratie, mit auszukosten, den läh-
menden und tötenden Druck eines steril und stupid gewordenen Regimes
zu beobachten, das Todesröcheln einer Gesellschaftsordnung im Sterbe-
zimmer ihrer „Stützen“ aufzufangen. Das Doppelverhältnis Paleologues
zu Rußland tritt an unzähligen Stellen zutage: als Epikuräer, skep-
tischer Genießer und politischer Intrigant fühlt er sich in den Salons der
russischen Aristokratie, besonders in Gesellschaft der russischen Aristo-
kratinnen, die zu den kultiviertesten Frauen der Erde gehören, außer-
ordentlich wohl, — als Künstler und Psychologe wird er immer wieder
von der russischen Literatur stark angezogen, vom einfachen russischen
Volk, von der russischen Musik, von der besonderen russischen Religiosität,
von der griechisch-orthodoxen Liturgie, von der Schlichtheit und mensch-
heitsumfassenden Weisheit der russischen Volksseele. Manchmal über-
kommt ihn ein Ahnen neuer Zukunftsmöglichkeiten, er wurzelt aber mit
all seinen Instinkten in der abgeschlossenen, formsicheren französischen
Kultur.
*
Paleologues Tagebücher enthalten eine Überfülle von Charakteri-
stiken zahlreicher Persönlichkeiten, die zuweilen wie meisterhafte alt-
französische Miniaturen wirken. Hin und wieder überschätzt er einzelne
Gestalten, die sich gern seiner Auffassung von den Kriegszwecken fügen.
So z. B. Sasonow und Kokowzew. Sasonow, von dem mir Graf Witte
einmal sagte, er sei ein durch und durch anständiger Mensch, seine
diplomatischen Fähigkeiten reichten aber aus, um „Vizekonsul in Leipzig“
zu sein, nicht aber die Schicksale der russischen Politik zu bestimmen,
wird als ein weiser und weitblickender Staatsmann bezeichnet. Ob Paleo-
logue das aufrichtig gemeint hat? Ich zweifle daran. Führt er doch
manchmal Äußerungen Sasonows an, die ihn eher als Theologen, denn
als Staatsmann erscheinen lassen. Ebenso rühmt er Kokowzew, der ein
mittelmäßiger Beamter, ein Streber und ein staatsmännisch beschränkter
Kopf ist, der nunmehr als Bankdirektor in Paris eine passende Beschäf-
tigung gefunden hat, staatsmännische Fähigkeiten nach. Hier spielt
natürlich die Franzosenfreundlichkeit beider russischen Minister mit. Paleo-
logue läßt aber auch der überragenden genialen Persönlichkeit des Grafen
754
psychologisch und menschlich gleich wertvollen Aufzeichnungen Paleo-
logues. Er selbst, an seine Hauptaufgabe gekettet, die Lockerung der
widernatürlichsten „Entente“ der modernen Weltgeschichte zu verhüten,
den Abfall des widerwillig, mit mystischem Todesahnen in den Krieg
hineingehetzten Zaren vom „Kampf um Freiheit und. Demokratie“ mit
allen Mitteln unmöglich zu machen, wird häufig von der Gewalt der Er-
eignisse, von den Melodien der „russischen Seele“ ergriffen. Paleologue
kam nach Petersburg rechtzeitig genug, um die euphoristischen Höhe-
punkte des Zarismus vor dessen rettungslosem Sturz in den Abgrund zu
erleben. Seine Stellung ermöglichte ihm, die letzten Feste der Träger einer
Treibhauskultur, der russischen Aristokratie, mit auszukosten, den läh-
menden und tötenden Druck eines steril und stupid gewordenen Regimes
zu beobachten, das Todesröcheln einer Gesellschaftsordnung im Sterbe-
zimmer ihrer „Stützen“ aufzufangen. Das Doppelverhältnis Paleologues
zu Rußland tritt an unzähligen Stellen zutage: als Epikuräer, skep-
tischer Genießer und politischer Intrigant fühlt er sich in den Salons der
russischen Aristokratie, besonders in Gesellschaft der russischen Aristo-
kratinnen, die zu den kultiviertesten Frauen der Erde gehören, außer-
ordentlich wohl, — als Künstler und Psychologe wird er immer wieder
von der russischen Literatur stark angezogen, vom einfachen russischen
Volk, von der russischen Musik, von der besonderen russischen Religiosität,
von der griechisch-orthodoxen Liturgie, von der Schlichtheit und mensch-
heitsumfassenden Weisheit der russischen Volksseele. Manchmal über-
kommt ihn ein Ahnen neuer Zukunftsmöglichkeiten, er wurzelt aber mit
all seinen Instinkten in der abgeschlossenen, formsicheren französischen
Kultur.
*
Paleologues Tagebücher enthalten eine Überfülle von Charakteri-
stiken zahlreicher Persönlichkeiten, die zuweilen wie meisterhafte alt-
französische Miniaturen wirken. Hin und wieder überschätzt er einzelne
Gestalten, die sich gern seiner Auffassung von den Kriegszwecken fügen.
So z. B. Sasonow und Kokowzew. Sasonow, von dem mir Graf Witte
einmal sagte, er sei ein durch und durch anständiger Mensch, seine
diplomatischen Fähigkeiten reichten aber aus, um „Vizekonsul in Leipzig“
zu sein, nicht aber die Schicksale der russischen Politik zu bestimmen,
wird als ein weiser und weitblickender Staatsmann bezeichnet. Ob Paleo-
logue das aufrichtig gemeint hat? Ich zweifle daran. Führt er doch
manchmal Äußerungen Sasonows an, die ihn eher als Theologen, denn
als Staatsmann erscheinen lassen. Ebenso rühmt er Kokowzew, der ein
mittelmäßiger Beamter, ein Streber und ein staatsmännisch beschränkter
Kopf ist, der nunmehr als Bankdirektor in Paris eine passende Beschäf-
tigung gefunden hat, staatsmännische Fähigkeiten nach. Hier spielt
natürlich die Franzosenfreundlichkeit beider russischen Minister mit. Paleo-
logue läßt aber auch der überragenden genialen Persönlichkeit des Grafen
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