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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Savinkov, Boris V.: Im Gefängnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#1421

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Fähnrich Schumilin. „Na, Jagolkowski wird es nicht herausbekommen ....
es ist lang her!“ sagte er sich und wurde heiterer .... „Ein Aufschub, na-
türlich nur ein Aufschub. Nur fest bleiben.“ Er trat seitlich ans Gitter-
fenster.
Er liebte diesen Winkel: durch den schmalen Spalt der Blende leuch-
teten rote Ziegelmauern und abends wiegte sich dort eine große, kugel-
förmige Lampe. Rings war es still. Oberst Gwosdew atmete tief. Da setzte
mächtig und hallend das Abendläuten ein. Der Klang drang durch die
Doppelfenster und brach sich an der verschlossenen Tür. Und sogleich
tauchte in ihm die Erinnerung an das heimatliche Kosakendorf Staniza
mit der Gemeindekirche der heiligen Erzmärtyrerin Barbara auf. Oberst
Gwosdew hob den Kopf und bemühte sich, den Himmel zu erkennen. Er
sah einen graublauen Streifen und schlug weitausladend das Kreuz.
Der Tag verging, dann kam ein anderer Tag, eine Woche. Jagolkowski
hatte keine Eile mit der Antwort und ließ ihn nicht zur Vernehmung
rufen. Tag für Tag bat ihn Oberst Gwosdew schriftlich, ihm „eine Unter-
redung nicht abzuschlagen“. Aber er konnte sich nicht einmal verge-
wissern, ob ihn diese Zettel erreichten. Der Aufseher nahm sie schweigend
und höflich entgegen, und das Schloß schnappte wieder zu. Der Nachbar
unten gab auf alles Klopfen keine Antwort. Links und rechts hatte er
überhaupt keine Nachbarn. Dagegen entdeckte er auf dem Fensterbrett
eine menschliche Spur: „Jurij Bjelskij.“ Jeden Morgen trat er heran,
entzifferte die schiefen, mit einer Nadel eingekratzten Buchstaben und be-
grüßte sie. „Hast auch gesessen, Bruder“, dachte er voll Mitgefühl. „Ja,
Bruder, ich auch . . . dem Satan sind wir in die Zähne geraten . . .“ Lind
wenn er sich mit diesem vielleicht längst nach den Solowki-Inseln ver-
schickten Unbekannten unterhielt, dachte er flüchtig an Frau und Kinder.
„Die haben’s gut in Berlin.“
Frühmorgens kam er in den Korridor hinaus und wusch sich. Nach
dem Tee ballte sich die Gefängnisstille wieder zusammen, jene Stille, in
der einem die Luft in den Ohren klingt. Daran konnte er sich nicht ge-
wöhnen. Er fühlte ein zentnerschweres Gewicht auf seiner Seele lasten,
das ihn zu Boden drückte. Hin und wieder war diese Empfindung so stark,
daß er hätte schreien mögen. Selbst die Mäuse erfreuten ihn jetzt. Sie
nagten an dem hölzernen Bord und schnurrten über den frisch gestrichenen
'Boden. Bücher gab es keine. Nur Zeitungen. Er las sie mit Verachtung:
„Sind ja Räuber und Schwindler — die Kommunisten.“ Nach zwei
Wochen gab er das Lesen auf. Da wurde ihm noch schwerer zumute.
Eines Tages nach der Ronde spürte er, daß es mit seiner Kraft zu Ende
ging. Er setzte sich hin und schrieb nochmals eine Erklärung: „An das
Kollegium der G. P. U*) Genossen! Die Einsamkeit bedeutet für mich
eine Folter. Macht mit mir, was Ihr wollt. Aber auf Ehre und Gewissen
erkläre ich, wenn ich binnen drei Tagen nicht frei bin, ist es' mir lieber
Ihr erschießt mich. Ich wende mich mit einer letzten Bitte an Euch:

*) Politische Polizei.

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