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Verein für Historische Waffenkunde [Editor]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 2
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Potier, Othmar: Etwas über das Vorkommen geöhrter Nadeln an Dolchmessern
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0048

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34

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

II. Band.

Bevor sich der Mordgeselle in den Hinterhalt be-
giebt, schraubt er die Waffe auseinander. Die Klinge
lässt er in seinem Unterschlupfe zurück und lauert
nur mit der Nadel in der Faust seinem Opfer auf.
Stösst er nur mit der Nadel zu, so gewährt ihm das
manche Vorteile. Die Nadel an,sich war stark ge-
nug, um bei einem von geübter Hand geführten
Stosse selbst durch dicht gewebte Kleidung in des
Ueberfallenen Körper einzudringen; sie erschwerte
aber auch vermöge ihrer ahlförmigen Gestalt die
sofortige Entdeckung der Uebelthat. Denn die ko-
nische Form der Waffe verursacht eine fast unsicht-
bare Wunde, weil bekanntlich Wunden, welche von
pfriemenartigen Werkzeugen herrühren, sich nicht,
wie man erwarten sollte, durch rundliche, sondern
ebenfalls wie die von messerartigen Instrumenten
hervorgerufenen Wunden durch schlitzartige Tren-
nungen der Haut charakterisieren. Das Eigentüm-
liche derartiger Wunden besteht jedoch darin, dass
die Ränder der Wunde sich nach dem Herausziehen
der nadelartigen Waffe oft so dicht aneinanderlegen,
dass man erst bei genauer Untersuchung das Vor-

vorgetäuscht werden konnte, als die winzige Wunde
durch die sehr entwickelte linke Brust der Toten
verdeckt wurde. Nur durch Zufall — der Mann
hatte im Zustande der Trunkenheit geplaudert —
kam die Sache au den Tag. Wenn so etwas heute
möglich ist, wenn manche Stichwunden vermöge
ihrer Kleinheit heute noch von den behördlichen
Organen übersehen werden können, so dass dann
«mangels äusserer Verletzungen» von jeder weiteren
Amtshandlung Umgang genommen wird, wie ver-
lässlich mag die Totenbeschau erst zu einer Zeit vor-
genommen worden sein, in der Arzt und Richter
von einer Wissenschaft, wie es die gerichtliche Me-
dizin ist, auch nicht einmal etwas ahnten, wenn viel-
leicht noch dazu Gold des Totenbeschauers Auge
trübte, dass es bereitwillig die unscheinbare Wunde
übersah! Diese nadelartigen Waffen begünstigen
also ein Verschleiern des Mordes durch die Klein-
heit der von ihnen erzeugten Wunde in hohem
Grade, während ein Messerstoss doch immer sehr
sichtbare Merkmale hinterlässt. Neuere Forschungen1)
haben nämlich ergeben, dass die Länge der Haut-



handensein einer Wunde überhaupt bemerkt, dass,
während der Getroffene an einem innern Blutergusse
stirbt, vielleicht am Körper nur ein gerötetes Pünkt-
chen sichtbar ist. Dr.' Gross *) belegt diese That-
sache mit zwei sehr lehrreichen Vorkommnissen.
Dieser hervorragende Kriminalist erzählt: «Ich hatte
einmal einen Mann zu exhumieren, der durch einen
Stich mit einem Bohrer (in die Magengrube) ge-
tötet worden war. Der Totenbeschauer hatte die
Verletzung übersehen, und es musste bei der Ob-
duktion zugestanden werden, dass die äussere Ver-
letzung so unbedeutend schien, dass deren Ueber-
sehen zu entschuldigen war.» Einem zweiten Falle,
welcher zeigt, dass Stichwunden tödlich sein können,
ohne dass die geringste Blutung eingetreten ist, lag
folgendes Ereignis zu Grunde: Ein Anatomiediener
in Krakau hatte seiner Frau, als sie berauscht war,
eine lange Nadel ins Herz gestossen und das Weib
auf diese Weise getötet. Der Mann, welcher ver-
möge seines Berufes die richtige Stelle allerdings
zu finden gewusst hatte, verhinderte jede Blutung
durch den aufgedrückten Finger und hing die Frau
dann auf, so dass ein Selbstmord um so leichter
*) Gross Hanns, Handbuch für Untersuchungsrichter, 3. Aufl.,
Graz 1899, S. 568 u. 588.

6.
spalte proportional zu der Dicke des Instrumentes
ist, welches in die Haut eingestossen worden war;
dass bei kantigen Werkzeugen die Form der Wunde
durch die Beschaffenheit der Kanten bedingt ist,
während bei schneidigen durch das senkrecht ein-
gestossene Instrument die Haut nach so vielen Rich-
tungen aufgeschlitzt wird, als Schneiden da sind, so
dass im allgemeinen sternförmige Wunden hervor-
gerufen werden, deren Strahlen der Anzahl der
schneidenden Kanten des Werkzeugs entsprechen.
Der Mordbube oder dessen Auftraggeber hatte
jedoch das grösste Interesse daran, dass das Eisen
in der Faust des Ehrlosen nicht nur das erkorene
Opfer sicher treffe, sondern es au'ch töte. Das
sicherste Mittel dazu bot ein pflanzlicher oder
thierischer Giftstoff, mit welchem die Waffe besudelt
wurde. Sowie die Aino, die Urbevölkerung der
japanischen Inseln, die Spitzen ihrer Jagdpfeile
schaufelartig formten, um ihrem Pfeilgifte2) einen
*) Langer, Ueber die Spaltbarkeit der cutis (Sitzungsbericht
der math.-naturw. Klasse der kais. Akademie der Wissenschaften
1861, XLIV). — Briand et Caude, Manuel de medicine legale
1879, I, S. 473.
2) Siebold, Ethnol. Studien über die Aino, Berlin 1881
S. 19. — Scheube, Mittheil. d. Deutschen Gesellschaft für Natur-
u. Völkerkunde 1882, III. Heft 26, S. 228.
 
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