Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Liebe, Georg: Die sociale Wertung der Artillerie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0160

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
146

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

II. Band.


Die sociale Wertung der Artillerie.
Von Dr. G. Liebe, Kgl. Archivar.

ociale Einschätzung bestimmter
Waffen ist auf den verschie-
densten Kulturstufen zu beob-
achten und bei dem starken
Einfluss der ökonomischen und
Standesverhältnisse auf das
Kriegswesen unschwer zu er-
klären. Es sei nur auf die
technische Bezeichnung des berittenen Kämpfers der
Feudalzeit als «Gleve» und «Helm» aufmerksam ge-
macht. Das Schwert vorzugsweise erscheint im frühe-
ren Mittelalter als ritterliche Waffe, die dem Unfreien
versagt blieb. Im allgemeinen gilt wenigstens für das
Abendland als Regel, dass die ein stärkeres Einsetzen
der Persönlichkeit erfordernden Nahwaffen für ehren-
voller gelten. Schon gegen die Armrust, die infolge
der Kreuzzüge eindrang, erhob sich ein Sturm der
Entrüstung-: 1139 verbot Papst Innocenz II. «die
todbringende, gottverhasste Kunst der Armrust- und
Bogenschützen gegen Christen zu üben.» Heftigere
Anfeindung noch erfuhr die unerhörte Erfindung des
Feuergeschützes, die dem Verächtlichen das Un-
heimliche gesellte. Die italienischen Renaissance-
Taktiker sahen mit Abneigung auf die «deutsche
Pest», für die kein Raum war in ihren der Antike
entnommenen Theorien, und der ehrliche Haudegen
Götz von Berlichingen macht in der Nürnberger
Fehde das bedrückte Geständnis: «es kann nicht ein
jeglicher das Gebelder leiden.» Während die Hand-
feuerwaffen mit ihrer zunehmenden Ausbildung sich
unwiderstehlich einen Platz in der modernen Taktik
sicherten, blieb den Geschützen die volle kriegeri-
sche Ehre noch auf lange hinaus versagt. Den
Rang als dritte Waffe gewann die Artillerie erst
Ende des 17. Jahrh., und noch weit später wurde
sie nicht für voll angesehen. Die Ursache lag in
ihren Vertretern. Die berufenen Kämpfer stellte erst
die Feudalreiterei, dann das Fusssöldnertum der
Landsknechte; erstere führte stets, letzteres über-
wiegend Nahwaffen. Die Artillerie war anfangs vor-
zugsweise die Waffe der Städte.
Die ersten Nachrichten über das Vorkommen
von Pulvergeschützen zeigen ausschliesslich Städte
im Besitz von «Büchsen»: 1346 Aachen, 1356
Nürnberg, 1362 Erfurt, 1370 Köln.1) Es ist das
leicht erklärlich, da sich hier am ehesten die
technischen Kenntnisse und die materiellen Mittel
vereinigt fanden, deren man zur Herstellung der
neuen Kriegsmaschinen benötigte. Hatten sich doch
die Städte schon durch reichen Besitz an älterem

*) Köhler, Entwicklung d. Kriegswesens etc., IIIA, S. 225.

Wurfgezeug ausgezeichnet. Notgedrungen mussten
ihnen die Fürsten auf der eingeschlagenen Bahn
folgen, 1371 erscheint zum erstenmal ein Büchsen-
meister im Dienst der wettinischen Markgrafen.')
Aber noch auf lange hinaus sind die Städte ent-
schieden überlegen und bis ins 16. Jahrh. pflegen
die Fürsten bei vorfallenden Fehden ihren Artillerie-
park aus städtischen Zeughäusern zu ergänzen. In
beider Händen richtete sich die vornehmlich polior-
ketische Bedeutung der neuen Waffe g'egen die-
jenigen, die sich bisher eifersüchtig das Waffenrecht
gewahrt hatten, die Ritterschaft. Die Büchsen de-
mütigten den märkischen Adel vor dem Nürnberger
Tand und hinter den zerberstenden Riesenmauern
seines Landstuhls bekannte der wunde Sickingen,
dass er «sein Lebtag solch unchristliches Schiessen
nicht gehört.»
Nicht erhöhen konnte es die Sympathie für die
neuen Kriegswerkzeuge, dass sie in den ersten Jahr-
hunderten ihres Bestehens auf die Feldschlacht von
geringem Einfluss gewesen sind. Das konnte nicht
anders sein bei der Schwerfälligkeit des Transports
und .der langsamen, ungeschickten Handhabung, die
einen Treffer häufig als besonderen Glücksfall er-
scheinen liess. Sehr bezeichnend schlug 1446 die
Stadt Halle dem Magdeburger Erzbischof Friedrich
die Bitte um ihre grosse Büchse, den Strauss, ab,
weil sie keinen Wagen hätten, ihn über die schwache
Brücke zu führen.2) Bedurfte doch die Nürnberger
Kriemhild ausser dem Wagen für das Rohr noch elf
weitere für Ausrüstung und Geschosse. Waren diese
Ungetüme aber glücklich auf die Wahlstatt gebracht,
so gelangten sie selten über wenige, oft genug un-
wirksame Salven hinaus und waren nur zu leicht der
Gefahr der Ueberrumpelung ausgesetzt. Die Vor-
liebe für grosse Kaliber und die Willkür in deren
Anlage verlieh den Geschützen einen individuellen
Charakter, der sich in der beliebten Namengebung
ausspricht, hinderte aber die Zusammenfassung zu
taktischen Verbänden. Wie es infolge der feudalen
Grundlage bis ins 16. Jahrh. keine Kavallerie gab,
sondern nur Reiter, so keine Artillerie, sondern Ge-
schütze. Die artilleristische Taktik blieb auf das
rein Technische, die Geschützbedienung beschränkt,
und den Büchsenmeistern haftete ein handwerks-
mässiger Charakter an. Anders in den französischen
und burgundischen Heeren, wo früh auf die Aus-
bildung einer Feldartillerie Gewicht gelegt wurde.
Hier bekleideten Edelleute die leitenden Stellen der

*) Lippert, Ueber das Geschützwesen der Wettiner im
14. Jahrh. (Hist. Untersuchungen Förstemann gewidmet), S. 94.
2) Staatsarchiv Magdeburg A Erzstift II 759.
 
Annotationen