Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Litteratur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0471

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
12. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.


Franz Freiherr von Lipperheide, Corpus Cassidum.
(Probe.)
Die historische Waffenkunde krankt an einem metho-
dischen Fehler. Wie sie sich in den letzten Jahrzehnten
entwickelt hat, bedeutet sie die einseitige Betrachtung
des Waffenwesens vom Beginn des Mittelalters an bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts. Und dieser Torso, willkürlich
genug durch skrupelloses Abschlagen von Beinen und Haupt
hervorgebracht, wird noch dazu fast immer nur von einer
Seite beleuchtet. Auch Boeheims Handbuch hat sich
diese Beschränkung auferlegt, verzichtet auf die Schilde-
rung der Anfänge und verfolgt nicht die Ausläufer der
Entwickelung bis in die jüngste Vergangenheit. Zu, einer
Entwickelungsgeschichte des Waffenwesens aber — und die
haben wir doch zweifellos als unsere vornehmste Aufgabe
anzusehen — werden wir natürlich nur kommen können,
wenn wir ab ovo anfangen. Die naturwissenschaftliche
Forschung des 19. Jahrhunderts hätte auch der Waffen-
kunde wie so mancher anderen Disziplin als methodisches
Vorbild dienen sollen. Einzig Max J ä h 11 s hat sich in
seiner «Entwicklungsgeschichte der Trutzwaffen» ihre Leh-
ren zu nutze gemacht. Der Prähistoriker und der Archäo-
loge, der Ethnograph und der Militärschriftsteller sind noch
zu wenig zu Wort gekommen, auch in unserer Zeitschrift,
wenngleich in diesem zu Ende gehenden Bande mehrfach
versucht wurde, die Möglichkeit der Aussprache einem
weiteren Kreise zu bieten. Ein ander Mal will ich, da ich
auf dieses Thema werde zurückkommen müssen, die Gründe
darzustellen versuchen, aus dem sich diese freiwillige enge
Eingrenzung des uns zur Verfügung stehenden Gebietes
erklärt. Heute möchte ich nur andeuten, dass mir nur dann
ein rüstiges' Vorwärtsschreiten als möglich erscheint, wenn
eifrige Spezialuntersuchungen gleich massig alle
Teile der Waffenkunde berücksichtigen und nicht nur,
wie bisher fast immer, einen einzigen. Erst muss alles
Baumaterial zugerichtet, der Grund ausgeschachtet sein,
ehe wir an das Bauen denken dürfen. Aber haben wir
nicht bisher beim ersten Stock angefangen, haben wir je
an eine Bedachung gedacht, ist nicht gar manchmal das
schmückende Beiwerk des Hauses unsere Hauptsorge ge-
wesen ?
In diesem Zusammenhang wird man verstehen, dass
ich mit grosser Freude eine Arbeit begrüsste, die einem
von den Waffenhistorikern sehr vernachlässigten Gebiete,
der Antike, zu gute kommen wird. Franz Freiherr
von Lipperheide hat sein gross angelegtes Werk, sein
Corpus Cassidum, zunächst einem engeren Kreise in einer
«Probe» vorgelegt. Dieses Verfahren ist bei einer wissen-
schaftlichen Veröffentlichung außergewöhnlich, aber bei der
Tragweite, welche diese hier hat, ist es durchaus berechtigt
und mehr als dies, es ist alles Lobes wert. Denn es zeugt
von dem ehrlichen Willen des Verfassers, der Wissenschaft
eine möglichst vollkommene Gabe zu bieten, da das Vor-
legen einer «Probe» alle Kenner des Gegenstandes zum
Worte aufruft, bevor die fertige Arbeit, an der später nicht
mehr gebessert werden kann, den Weg in die Welt nimmt.
Das bedeutet eine Weitherzigkeit der Gesinnung, die um
so mehr anerkannt werden muss, als sie in den gelehrten
Kreisen so selten anzutreffen ist.
Das Werk, dessen monumentale Gestaltung schon in
dem Titel anklingt, wird sechs Bände umfassen. Der erste
wird die ägyptischen und griechischen Plelmtypen, der dritte

4SI

die prähistorischen, besonders die etruskischen, der fünfte
die römischen Helme und ihre letzten Ausläufer bis zum
Beginne der Völkerwanderung beschreiben, während der
zweite, vierte und sechste Band zu dem jedesmal vorher-
gehenden die Abbildungstafcln beisteuern. Die «Probe» un-
terrichtet uns über den dritten und vierten Band, bietet
das Vorwort und die Einleitung.
Von den antiken Helmen in den Museen und Privat-
sammlungen Europas hat Freiherr von Lipperheide eifrig
Aufnahmen gesammelt, deren er jetzt 580 besitzt. Damit
ist er in den Stand gesetzt, das Material vollständig vor-
zulegen. Die Doubletten werden mit Recht nur im Text,
nicht im Abbildungsteil berücksichtigt. Von den 850 be-
kannten Helmen kann übrigens die Lipperheidesc'he Samm-
lung allein 78 ihr eigen nennen, eine Zahl, die von keiner
anderen, auch nicht von den bedeutendsten öffentlichen
Spezialsammlungen des British Museum (54 Stück), des
Neapler Museo Nazionale (41) und des Louvre (36) erreicht
wird. Den Abbildungen liegen Zeichnungen des Münchner
Malers Karl R i c k e 11 zu Grunde, der mit viel Geschick
der Aufgabe gerecht wurde, die Helme in der Stellung zu
zeichnen, wie sie auf den Köpfen der Krieger gesessen
haben mögen. Das aber ist keineswegs bedeutungslos, denn
der Aufbau des Helmes wird dadurch in seiner Zweckmässig-
keit und in seiner damit in engstem Zusammenhang stehen-
den Kunstform sehr anschaulich dargestellt. Es wäre zu
wünschen, dass dieser meines Wissens vom Freiherrn von
Lipperheide zum ersten Male aufgestellte Grundsatz die
Regel für alle Abbildungen von Waffen würde, wie denn
auch mit mir jeder wünschen wird, dass für unser Fach
der kunstgewerblich geschulte Zeichner mehr als der photo-
graphische Apparat arbeiten möchte. Die Stoffcharakte-
ristik, der «Strich» des Metalls gelingt doch nur dem ersten.
Freilich ist auch der Kostenaufwand wesentlich höher, denn
nur die beste Leistung ist hier gut genug. Rickelt hat
nun wirklich Vortreffliches geboten. So ist z. B. muster-
haft dargestellt die gallische Sturmhaube auf Tafel 6, bei der
sich deutlich die dünner gewordenen Stellen der Bronze
von den stärker gebliebenen abheben, und besser als auf
Tafel 21, an der etruskischen Sturmhaube, lässt sich wohl
kaum der Unterschied zweier Techniken, des Treibens und
der Punzierung, charakterisieren.
In den einleitenden Abschnitten macht der Heraus-
geber den Leser mit den für die antiken Helme verwende-
ten Stoffen und den zu ihrer Verarbeitung nötigen Tech-
niken bekannt. Dann belehrt er ihn über Konservierung
und Restauration, über sein System der Massbestimmungen,
das sich durch Genauigkeit auszeichnet und der Über-
tragung auf verwandte Messungen wohl wert ist — die
Mittel zum Messen: Stellwerk nebst Richtscheit, Messband
und Taster verdienen überall eingeführt zu werden — und
schliesslich bespricht er die Abnahme von gepunzten Orna-
menten u. dergl. Diese rein praktischen Kapitel scheinen
mir ein nicht zu unterschätzender Vorzug des Werkes. Wer
selbst vor solche Fragen schon gestellt worden ist, wird
ihren vollen Wert um so mehr zu würdigen wissen, als ihm
dann auch bewusst sein wird, dass die noch ganz in den An-
fängen stehende Museumstechnik ihn nicht über alle hier
berührte Punkte genügende Aufklärung geben konnte. —
Der Text des Werkes nennt bei jeder Nummer zuerst
den Gegenstand mit seiner waffentechnischen Bezeichnung,
giebt dann den Fundort, die Zeit, wo es möglich ist, und
hierauf den Aufbewahrungsort an. Es folgt eine knappe,
jedes überflüssige Wort vermeidende, aber völlig ausrei-
chende Beschreibung, bei der oft die bestehende Termino-
logie nicht genügte. Die vom Herausgeber eingeführten
neuen Ausdrücke sind mit ebensoviel Überlegung wie Glück
gewählt und werden in der Waffenkunde, und zwar nicht
allein auf dem antiken Gebiete, ihren Platz behaupten. Die
Angabe des Stoffes, der für den Helm verwendet wurde,
und die Masse schliessen die Beschreibung ab. Ihr sind
kurze Ausführungen im Sinne eines catalogue raisonne
 
Annotationen