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Zeitschrift für historische Waffenkunde.
II. Band.
Ein sonderbarer Mehrlader.
Von Dr. Potier.
Adjö nun, Lowise, wisch’ ab dein Gesicht,
Eine jede Kugel trifft ja nicht:
Denn traf’ jede Kugel apart ihren Mann,
Wo kriegte der König Soldaten dann?
(Aus einem alten preussischen
Soldatenliede.)
zu dem Augenblicke, da
die neuerfundenen Feuer-
waffen die Kinderkrank-
heiten überstanden hatten,
lassen sich die Versuche
zurückverfolgen, die Ver-
wendbarkeit dieser Waffen
zu steigern. Emsig suchte
der Schwarzkünstler nach
der Formel, welche den
in der vereinigten Drei-
heit Schwefel, Salpeter und
Kohle schlummernden Dämon zu höchster Kraft-
leistung anfeuern sollte, eine Aufgabe, deren Lösung
erst dem modernen Chemiker Vorbehalten blieb.
Unermüdlich übte der Büchsenmacher seinen Witz
an dem Problem eine Waffe zu ersinnen, welche
Plandlichkeit mit höchster Feuerbereitschaft vereint.
Auch diese mühevollen Versuche mussten so lange
geistreiche Spielereien einzelner befähigter Köpfe
bleiben, solange die Welt von Präcisionsmechanik
nichts wusste. Erst der moderne Maschinenbauer,
welcher haarfein und haargenau arbeitende Maschinen
schuf, gab dem Waffentechniker die Mittel in die
Hand, das im Geiste geschaute praktisch zu ver-
wirklichen: Dem Schwesternpaare Chemie und Prä-
cisionsmechanik dankt also der Soldat und Schütze
die Einheitspatrone, die Nitratpulver, den handsamen
und den Tod auf weite Entfernung aussendenden
Mehrlader.
Aber auch diese allermodernste Kriegswaffe war,
wenigstens in ihren Grundzügen, den alten Büchsen-
machern wohl bekannt. Der Wunsch nach höherer
Feuerbereitschaft erzeugte die mehrläufigen Gewehre,
die Doppelschussgewehre, endlich die Drehlinge,
wenn wir von den Handfeuerwaffen mit Hinterlade-
vorrichtung, welche schon um 15 5° auftreten, ab-
sehen wollen.
Bei den mehrläufigen Gewehren waren die Läufe
entweder neben- oder übereinander angeordnet, und
man unterschied demnach zwischen Zwillings- und
Bockgewehren. Immer aber gehörte zu einem jeden
einzelnen Laufe ein eigener Schlossmechanismus,
und zwar wurde bei den Bockgewehren die im unteren
Laufe befindliche Ladung durch das vordere, der
im oberen Laufe steckende Schuss durch das rück-
wärtige Schloss zur Entzündung gebracht.
Als nahe Verwandte dieser älteren Mehrlader
erscheinen die Wendegewehre. Bei dieser Gattung
von Gewehren war nur ein einziges Schloss vor-
handen, die zwei über einander, also im Bocke
ruhenden Läufe waren jedoch so um eine gemein-
schaftliche Achse drehbar, dass die Ladung in dem
gerade oben liegenden Lauf von diesem Schlosse
aus entzündet wurde.
Die Schlösser für die Doppelschussgewchre
charakterisierten sich dadurch, dass zwei oder mehr
Flintenschlösser hintereinander längs eines Laufes
angebracht wurden, und zwar in der Weise, dass
die Pfannentröge aller in gleicher Ebene lagen, und
dass einer jeden Zündpfanne ein eigener Zündkanal
im Laufe entsprach. So wurde die Waffe, der
Schlossanzahl entsprechend, mit zwei bis drei Schüssen
geladen, jede einzelne Ladung jedoch durch einen
starken Pfropf von der nächst folgenden getrennt.
Wollte man schiessen, so setzte man zuerst den
Mechanismus des der Laufmündung zunächst lieg'cn-
den Schlosses in Thätigkeit und feuerte den obersten
Schuss ab; dann spannte man den Flahn des zweiten,
mittleren, endlich denjenigen des derSchwanzschraube
zunächst gelegenen Schlosses. Es ist begreiflich,
dass diese Art der Anordnung der Schlösser, welche
man häufig an für die Jagd von grösserem Raubwild
bestimmten Büchsen findet, ein überaus genaues
Laden voraussetzte und auch sonst wenig Vorteile bot.
Die eigentlichen Vorläufer der modernen Re-
volversysteme sind jedoch die Drehlinge. In eine
um eine Achse drehbare Trommel war eine Anzahl
von Ladekammern gebohrt; zu jeder Ladekammer
gehörte später ein Batteriedeckel und eine Zünd-
pfanne, welche sich mit der Trommel drehten. Wie
alt diese Art von Mehrladern ist, geht daraus hervor,
dass im Jahre 1584 Niklas Zurkinden in Bern Schiess-
proben mit einem Drehling vornahm, welche aller-
dings unglücklich endeten, da die Büchse zersprang.
Offenbar fielen die Achsen der Ladekammern in
der Trommel nicht ganz genau in die Verlängerung
der Laufachse, so dass die Kugeln nicht ganz glatt
aus den Ladekammern in den Lauf hinüber zu
springen vermochten, und ein sich stauchendes Ge-
schoss die Waffe zertrümmerte.
Die dem Drehlingssysteme anhaftenden Mängel,
unter welchen die kurze Schussweite wegen des un-
vermeidlichen Ausströmens der' Pulvergase an der
Berührungsfläche von Trommel und Lauf nicht der
geringste war, führten dazu, dass man anfing, die
Munition, und zwar Pulver und Kugel getrennt, in
eigenen Magazinen am Gewehre unterzubringen.
Doch geriet man auch hierin bald auf Abwege: So
bewahrt die königliche Gewehrgalerie zu Dresden
derartige Repetiergewehre auf, welche zur Aufnahme
von 20, 30, ja sogar 40 Schüssen eingerichtet sind.
Zeitschrift für historische Waffenkunde.
II. Band.
Ein sonderbarer Mehrlader.
Von Dr. Potier.
Adjö nun, Lowise, wisch’ ab dein Gesicht,
Eine jede Kugel trifft ja nicht:
Denn traf’ jede Kugel apart ihren Mann,
Wo kriegte der König Soldaten dann?
(Aus einem alten preussischen
Soldatenliede.)
zu dem Augenblicke, da
die neuerfundenen Feuer-
waffen die Kinderkrank-
heiten überstanden hatten,
lassen sich die Versuche
zurückverfolgen, die Ver-
wendbarkeit dieser Waffen
zu steigern. Emsig suchte
der Schwarzkünstler nach
der Formel, welche den
in der vereinigten Drei-
heit Schwefel, Salpeter und
Kohle schlummernden Dämon zu höchster Kraft-
leistung anfeuern sollte, eine Aufgabe, deren Lösung
erst dem modernen Chemiker Vorbehalten blieb.
Unermüdlich übte der Büchsenmacher seinen Witz
an dem Problem eine Waffe zu ersinnen, welche
Plandlichkeit mit höchster Feuerbereitschaft vereint.
Auch diese mühevollen Versuche mussten so lange
geistreiche Spielereien einzelner befähigter Köpfe
bleiben, solange die Welt von Präcisionsmechanik
nichts wusste. Erst der moderne Maschinenbauer,
welcher haarfein und haargenau arbeitende Maschinen
schuf, gab dem Waffentechniker die Mittel in die
Hand, das im Geiste geschaute praktisch zu ver-
wirklichen: Dem Schwesternpaare Chemie und Prä-
cisionsmechanik dankt also der Soldat und Schütze
die Einheitspatrone, die Nitratpulver, den handsamen
und den Tod auf weite Entfernung aussendenden
Mehrlader.
Aber auch diese allermodernste Kriegswaffe war,
wenigstens in ihren Grundzügen, den alten Büchsen-
machern wohl bekannt. Der Wunsch nach höherer
Feuerbereitschaft erzeugte die mehrläufigen Gewehre,
die Doppelschussgewehre, endlich die Drehlinge,
wenn wir von den Handfeuerwaffen mit Hinterlade-
vorrichtung, welche schon um 15 5° auftreten, ab-
sehen wollen.
Bei den mehrläufigen Gewehren waren die Läufe
entweder neben- oder übereinander angeordnet, und
man unterschied demnach zwischen Zwillings- und
Bockgewehren. Immer aber gehörte zu einem jeden
einzelnen Laufe ein eigener Schlossmechanismus,
und zwar wurde bei den Bockgewehren die im unteren
Laufe befindliche Ladung durch das vordere, der
im oberen Laufe steckende Schuss durch das rück-
wärtige Schloss zur Entzündung gebracht.
Als nahe Verwandte dieser älteren Mehrlader
erscheinen die Wendegewehre. Bei dieser Gattung
von Gewehren war nur ein einziges Schloss vor-
handen, die zwei über einander, also im Bocke
ruhenden Läufe waren jedoch so um eine gemein-
schaftliche Achse drehbar, dass die Ladung in dem
gerade oben liegenden Lauf von diesem Schlosse
aus entzündet wurde.
Die Schlösser für die Doppelschussgewchre
charakterisierten sich dadurch, dass zwei oder mehr
Flintenschlösser hintereinander längs eines Laufes
angebracht wurden, und zwar in der Weise, dass
die Pfannentröge aller in gleicher Ebene lagen, und
dass einer jeden Zündpfanne ein eigener Zündkanal
im Laufe entsprach. So wurde die Waffe, der
Schlossanzahl entsprechend, mit zwei bis drei Schüssen
geladen, jede einzelne Ladung jedoch durch einen
starken Pfropf von der nächst folgenden getrennt.
Wollte man schiessen, so setzte man zuerst den
Mechanismus des der Laufmündung zunächst lieg'cn-
den Schlosses in Thätigkeit und feuerte den obersten
Schuss ab; dann spannte man den Flahn des zweiten,
mittleren, endlich denjenigen des derSchwanzschraube
zunächst gelegenen Schlosses. Es ist begreiflich,
dass diese Art der Anordnung der Schlösser, welche
man häufig an für die Jagd von grösserem Raubwild
bestimmten Büchsen findet, ein überaus genaues
Laden voraussetzte und auch sonst wenig Vorteile bot.
Die eigentlichen Vorläufer der modernen Re-
volversysteme sind jedoch die Drehlinge. In eine
um eine Achse drehbare Trommel war eine Anzahl
von Ladekammern gebohrt; zu jeder Ladekammer
gehörte später ein Batteriedeckel und eine Zünd-
pfanne, welche sich mit der Trommel drehten. Wie
alt diese Art von Mehrladern ist, geht daraus hervor,
dass im Jahre 1584 Niklas Zurkinden in Bern Schiess-
proben mit einem Drehling vornahm, welche aller-
dings unglücklich endeten, da die Büchse zersprang.
Offenbar fielen die Achsen der Ladekammern in
der Trommel nicht ganz genau in die Verlängerung
der Laufachse, so dass die Kugeln nicht ganz glatt
aus den Ladekammern in den Lauf hinüber zu
springen vermochten, und ein sich stauchendes Ge-
schoss die Waffe zertrümmerte.
Die dem Drehlingssysteme anhaftenden Mängel,
unter welchen die kurze Schussweite wegen des un-
vermeidlichen Ausströmens der' Pulvergase an der
Berührungsfläche von Trommel und Lauf nicht der
geringste war, führten dazu, dass man anfing, die
Munition, und zwar Pulver und Kugel getrennt, in
eigenen Magazinen am Gewehre unterzubringen.
Doch geriet man auch hierin bald auf Abwege: So
bewahrt die königliche Gewehrgalerie zu Dresden
derartige Repetiergewehre auf, welche zur Aufnahme
von 20, 30, ja sogar 40 Schüssen eingerichtet sind.