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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 2
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Die Geschichte der Waffe im höheren militärischen Unterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0051

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2. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

37

Die Geschichte der Waffe im höheren militärischen Unterricht.

Von einem Vereinsmitglied.

den Wert der Ge-
schichte der Waffe im
höheren militärischen
Unterricht hat eine
Denkschrift von W en-
delin Boeheim im
12. Heft des I. Bandes
dieser Zeitschrift eine
verdienstvolle und be-
merkenswerte Anre-
gung gegeben. Es sei
mir gestattet, mich dazu zu äussern. Der Neigung
zur Sache möge man meine Bemerkungen zu gute
halten!
Nicht nur jede Wissenschaft gewinnt durch ihre
geschichtliche Betrachtung an Tiefe, wie Herr Boe-
heim sagt: gehen wir ruhig einen grossen Schritt
weiter, indem wir uns darüber klar werden, dass
wahrhaft tiefe Geistes- und Herzensbildung ohne
liebevolle Beschäftigung mit dem Werdegang der
Menschheit oder wenigstens des eigenen Volkes
nicht denkbar ist. Eine Kenntnis und reife Beur-
teilung der Ereignisse des Tages ist nur möglich,
wenn man weiss, wie und warum sie so und nicht
anders geworden sind. Was habe ich vom deutschen
Reiche, wenn ich, als Deutscher, nicht wenigstens
geistig die Leiden mit gekostet habe, die gelitten
werden mussten bis zu seiner Errichtung? Dieses
geistige Nacherleben des Gewordenen und Gewesenen
läutert den Charakter, bewahrt vor Ueberhebung,
macht fest und wappnet für künftigen Sturm.
So betrachten wir die Geschichte in ihrem
grossen Werdegang. Sollte nun nicht auch die
verständnisvolle Erforschung der Einzelheiten eine
veredelnde Wirkung zu üben vermögen? Wer Gustav
Freytags Bilder aus der deutschen Vergangenheit
kennt, wird den erhebenden Genuss empfunden haben,
den diese kulturgeschichtlichen, von reinstem patrio-
tischen Geiste durchwehten Schilderungen erwecken.
Hie Darstellung der Kleinigkeiten des alltäglichen
Lebens unserer Vorfahren fesselt unwiderstehlich
jeden empfänglichen Sinn.
Und wahrlich, nicht das geringste Kapitel dieses
täglichen Lebens behandelt die Wehr! Lebens-
berechtigte Völker waren stets wehrhaft bis ins Mark,
und wo die Wehre stumpf wird, versiegt das Leben,
denn das Leben ist Kampf. Scharf halten kann
sein Schwert aber nur der, welchem gewesene Irr-
tümer zur Lehre dienen, im Kleinen wie im Grossen.
Es muss also derjenige, der berufen ist, die Wehre
zu führen, sich klar sein, wie er sie zu führen hat.
Das lehren nicht Formeln und Zahlen, das lehrt der
Geist, der die ruhenden Pole in früherer Erschei-
nungen Flucht festhält und auf Feststehendem —
aber nur auf diesem — weiterbaut.

Doch hier stehen wir vor dem grossen Rätsel:
wie das Feststehende finden?
Welcher gebildete Mensch hätte nicht schon
unter der erdrückenden Masse lehrreicher Tages-
ereignisse und -erzeugnisse seufzend gewünscht:
hätte der Tag doch mehr Stunden! Was möchte
man alles sehen, hören, lesen, miterleben! Bei gar
vielen ist die Folge eine Zersplitterung der geistigen
Kräfte, und das Feststehende eben, worauf weiter-
zubauen ist, wird in der Masse des Gebotenen nicht
gefunden, nicht festgehalten. Dieser Gefahr vorzu-
beugen, ist der schwerste, aber .dankbarste Beruf
des Lehrers. Der Lernende muss für den Zweck,
den sein Beruf ihm vorschreibt, leistungsfähig
bleiben und immer leistungsfähiger werden, so lange
er gesund ist.
Diese allgemeinenBemerkungen vorauszuschicken
hielt ich für nötig, ehe ich an die von Herrn Boeheim
behandelte Frage näher herantrete. Sie sollen den
Leser über den Standpunkt, den ich, selbst im
Studium stehend, einnehme, von vornherein nicht
im Zweifel lassen. —
Welches ist zunächst der Zweck der höheren
militärischen Bildungsanstalten ? Ihre Zöglinge sollen
wissenschaftlich vorbereitet werden, um später in
den wichtigsten und verantwortungsreichsten Stellun-
gen im Frieden die Kriegstüchtigkeit und Bereit-
schaft des Heeres, im Kriege den erfolgreichen An-
griff auf den Feind sicher zu stellen. Reine Ver-
teidigung kennt der deutsche Heerführer nicht.
Die persönlichen Charaktereigenschaften, die
für diese Aufgaben nötig sind, können freilich nicht,
oder nur in sehr geringem Masse anerzogen werden.
Um so peinlicher und sorgfältiger muss daher
die Auswahl der Gegenstände erfolgen, über
welche wissenschaftliche Vorträge zu halten sind.
Dass die Waffenlehre hierbei ein wesentliches Kapitel
bildet, ist selbstverständlich. Aber auch hier ist
der Endzweck im Auge zu behalten: der Studie-
rende muss einen praktischen Nutzen für
seine spätere Thätigkeit in der Armee mit
von der Anstalt hinwegnehmen.
Nun sehen wir, dass der deutsche Heerführer
den Feind stets angreift — natürlich stets vom
grossen Gesichtspunkt aus betrachtet, welcher ja
nie örtlich und zeitlich beschränkte Defensivhand-
lungen ausschliesst. Das ist auch eine Lehre, die
wir aus der Geschichte haben. Betrachten wir also
die Waffen, mit denen wir ins Feld ziehen, so
müssen wir, um nicht unseren Willen vom toten
Material einengen zu lassen, in der Waffenlehre im
Grunde genommen die grosse Frage beantworten,
die das Rückgrat der ganzen Kriegsgeschichte bildet:
wie verwende ich meine Waffe mit Rücksicht auf
ihre Eigentümlichkeiten am besten, um den Feind
 
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