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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 3
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Reimer, Paul: Die historische Waffenkunde auf kulturgeschichtlicher Grundlage
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0071

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Die historische Waffenkunde auf kulturgeschichtlicher Grundlage.
Von Paul Reimer, Oberleutnant im Badischen Fussartillerie-Regiment Nr. 14.
Mit einem Nachwort der Schriftleitung.


ie Waffe war und ist der Träger
der Kultur. Das erste
Erzeugnis, des im Urzu-
stände lebenden Men-
schen war die Waffe, die
ihn gegen die Tierwelt
schützte und ihm Nah-
rung verschaffte. Erst
aus der Waffe entstand
behufs weiterer Produk-
tion das Werkzeug, doch
die Waffe musste weiter wirken, wenn das Werkzeug
thätig sein sollte. Die durch die Wechselwirkung
beider gewonnene Kultur wurde mit Hilfe der Waffe

hinausgetragen zu fernen Völkern, bis diese wieder
mit der Waffe in der Hand ihrem Drange nach in-
dividueller Kulturentwickelung Geltung verschafften.
Welche Bedeutung heute die Waffe auf allen Ge-
bieten des Kulturlebens hat, darüber braucht wohl
kein Wort verloren zu werden, besteht doch der
Grundsatz «Macht geht vor Recht!» unerschüttert
fort, das Kennzeichen der Macht aber ist die Waffe.
Trotz alledem ist die Waffe als Kulturfaktor wissen-
schaftlich noch immer zu wenig betrachtet worden.
Die vorzugsweise militärischerseits bearbeitete Kriegs-
geschichte dient in erster Linie als Quelle für die
Strategie und Taktik; die Waffe als solche, auf
der sich doch erst die Taktik aufbaut, wurde dabei
nur sehr spärlich betrachtet. Dagegen nahm sich
der Kunstliebhaber, der Sammler, der Waffe an, so-
weit sie als Erzeugnis früheren, insbesondere des
mittelalterlichen Kunstgewerbes hervorragenden Wert
hat. Zur sachverständigen Verwaltung und Ergänzung
unterstehen daher grössere Sammlungen dieser Art
der Leitung von Kunstgelehrten, welche in der Litte-
ratur die Waffe wiederum vorzugsweise als Kunst-
gegenstand und Rarität behandelt haben. Immerhin
haben auch zahlreiche andere Forscher sich ein-
gehend mit einzelnen Arten der Waffen von be-
sonderen Gesichtspunkten aus beschäftigt, wertvolle
Arbeiten, die, soweit noch verborgen, an das Tages-
licht gezogen und an den ihnen gebührenden Platz
in dem weiten Rahmen der «historischen Waffen-
kunde» gestellt werden müssen. Dieses sind Bau-

steine für unsere junge Wissenschaft, deren es aber
in ungeheurer Menge bedarf und die, angesammelt,
der ordnenden Hand des genialen Baumeisters harren
sollen. Dass dieses Gebiet noch so wenig bearbeitet
ist, liegt gerade an dem Umstande, der uns hier
besonders wertvoll sein soll, an den intimen Wechsel-
beziehungen zwischen der Waffe und dem übrigen
Kulturleben. Der Forscher, der in dieses einge-
drungen, hat nur selten die nötigen eingehenden
Kenntnisse von der Waffe und ihrem Gebrauch,
dem Waffenkundigen dagegen fehlt meist der Ein-
blick in die Tiefen des Kulturlebens früherer Zeiten.
Hier müssen sich beide ergänzen, sich gegenseitig
belehren. Zunächst sei nun das vor uns liegende
weite Gebiet betrachtet, das der Bearbeitung harrt
und es sei noch einmal wiederholend hervorgehoben:
Der vornehmste Zweck der historischen
Waffenkunde ist die Betrachtung der Waffe
als Kulturfaktor. Es wird nicht unsere Auf-
gabe sein, die Waffe einseitig technisch
oder einseitig kunstgeschichtlich' zu behan-
deln, mit anderen Worten, die Spezialwissen-
schaft um ihrer selbst zu betreiben, sondern
das Waffenwesen soll uns der Leitfaden wer-
den, an dem wir Einblick gewinnen in das
Kulturleben aller Zeiten und aller Völker.
Es ergiebt sich als erster wichtiger Haupt-
abschnitt der historischen Waffenkunde die Waffen-
lehre, welche die Frage beantwortet: Was ist die
Waffe?
Es entspricht dem Wesen der Waffe, dass sich
ihre Konstruktion, mehr wie bei allen anderen Ge-
brauchsgegenständen, eng an den mit ihr beabsich-
tigten Zweck anschliesst. Um ihre Form und Kon-
struktion zu verstehen, müssen wir daher in erster
Linie die Anforderungen zu ergründen suchen,
welchen die Waffe gerecht werden sollte. Aufschluss
hierüber geben uns die Mängel der vor der Ein-
führung der betr. Waffe vorhandenen Schutz- und
Trutzwaffen, welche zu einer Ergänzung oder Ver-
besserung aufforderten, dann aber auch die Taktik,
d. h. die Art, wie jene Waffen geführt wurden.
Ferner müssen wir Aufschluss suchen aus den Schutz-
und Trutzwaffen des Gegners und untersuchen, ob
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