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Verein für Historische Waffenkunde [Editor]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 2
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Potier, Othmar: Etwas über das Vorkommen geöhrter Nadeln an Dolchmessern
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0049

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2. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

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festen Halt zu geben, ebenso mögen die an manchen
Dolchklingen sichtbaren Vertiefungen, Rinnen, Durch-
lochungen nicht blos Zwecken des Schmuckes ge-
dient haben. Schon Hiltl giebt an zwei Stellen
seines Werkes x) dieser Vermutung Raum. Auf S. 40,
Sp. 1 macht er bei der Beschreibung eines italieni-
schen Stiletes (Nr. 552) die Bemerkung: «Durch
diesen Ansatz geht eine I-förmige OefFnung . . . Die
Oeffnungen in dem Ansätze dienten möglicherweise
zur Einbringung eines Giftes»; auf S. 95, Sp. 2 be-
schreibt er einen florentinischen Dolch (Nr. 588) «zu
schlimmen Dienst», in dessen Klinge 33 ovale Ver-
tiefungen eingeschliffen waren.
Bei den uns vorliegenden Dolchmessern musste
das wenige Millimeter von der Nadelspitze entfernte
Oehr förmlich dazu, einladen, dasselbe mit einer Gift-
pasta, einer giftigen Pomade, auszufüllen. Die Be-
schaffung von Gift war und ist ja nicht zu schwierig.
Lieferte nicht für Geld und gute Worte irgend
ein gewissenloser Apotheker das Gewünschte, so
wucherte im Walde die Tollkirsche, der Schierling, der
Fingerhut, die Niesswurz, lauter Pflanzen, deren Säfte
mehr oder weniger schwere Vergiftungserscheinungen
im tierischen Organismus hervorrufen. Eine Gabe
von 0,05 g Veratrin, dem in der Niesswurz wirk-
samen Giftstoffe, tötet beispielsweise eine Katze
binnen I bis 2 Stunden, und Coniin, nur auf die
äussere Haut gebracht, macht dieselbe schon an-
ästhetisch, weshalb auch die Hände von Leuten,
welche Schierlingssaft auspressen, gefühllos werden.* 2)
Vermochte sich endlich der Missethäter weder ein
pflanzliches, noch ein mineralisches Gift zu ver-
schaffen, so lieferte ihm ein jeder Kadaver ein Gift
von geradezu furchtbarer Wirkung: Er brauchte nur
die Waffe in einen Fetzen verwesenden Fleisches zu
stossen und darin durch einige Tage stecken zu
lassen, so vermochte dem so zugerichteten Eisen
niemand zu widerstehen. Dieses Verfahren sollen
ja noch gegenwärtig manche Stämme auf Neuguinea,
die Bewohner des zu den Salomonsinseln gehörenden
Savo beobachten.3)
Für die Thatsache, dass ich mit der Annahme,
diese geöhrten Nadeldolche seien zu tückischen An-
fällen vorzüglich geeignete Werkzeuge, nicht allein
stehe, dass vielmehr schon vor mir andere Aehn-
liches gedacht hatten, berufe ich mich auf den ver-
storbenen Schriftsteller Moritz Bermann. Derselbe
erzählt in seiner «Geschichte der Wiener Stadt und
Vorstädte» (S. 413—439) ziemlich weitschweifig, dass
die im Januar 1679 in Wien wütende Pest durch
französische Agenten eingeschleppt worden sei,
welche, mit Lanzetten bewehrt, den Leuten auf der
Strasse unversehens mit dem vergifteten Instrumente
die Haut geritzt und so die Seuche eingeimpft
hätten. Wenn natürlich das Gefasel dieser ganzen
*) Hiltl Georg, Die Waffensammlung Sr. kgl. Hoheit des
Prinzen Karl von Preussen. Berlin 1876, W. Moeser.
2) L. Lewin, Lehrbuch der Toxikologie, Wien 1897.
3) L. Lewin, Die Pfeilgifte, Berlin 1894, S. 132 u. 134.

abehteuerlichen Räubergeschichte keinen Augenblick
lang ernst genommen werden darf, so erscheint mir
doch die Vermutung gerechtfertigt, dass Bermann
vielleicht irgend einmal etwas über ein Attentat ge-
hört habe, bei welchem eine vergiftete lanzettartige
Waffe angewendet worden ist. Unwahrscheinlich ist
ja an und für sich die Sache nicht: Einen leichten
Ritz in der Haut spürt man nicht sofort, und Vorüber-
gehende im Gedränge zu beschädigen, muss auch
nicht zu schwierig sein; denn sonst hätte es bei-
spielsweise nicht so vieler Zeit und Mühe bedurft,
um einiger halbwüchsiger Burschen habhaft zu wer-
den, welche im Frühjahre 1898 die elegantesten
Promenaden in Wien unsicher machten und bedeu-
tenden Schaden anrichteten, indem sie im Vorüber-
gehen die Kleidung der Spaziergänger mit einer
ätzenden Flüssigkeit besprengten.
Nehme ich endlich auf das, wie ich später
zeigen werde, anscheinend seltene Vorkommen
solcher Typen für Dolchmesser, wie es die oben
beschriebenen sind, Rücksicht, so glaube ich alle
diejenigen Umstände angeführt zu haben, welche
die Verwendung dieser Art von Waffen zu »schlim-
men Dienst« als möglich erscheinen lassen. Will
man jedoch zu einem unbefangenen Urteile in dieser
Angelegenheit gelangen, so muss man auch alle
diejenigen Momente ins Auge fassen, welche ge-
eignet sind, diese Art von Waffen ihres tückischen
Charakters zu entkleiden.
In dieser Richtung fällt nun zunächst die ele-
gante Ausstattung, die künstlerisch formvollendete
Arbeit auf, welche wir an diesen Messern bewundern.
Mit sauber geschnittenem oder graviertem Silber-
blech ausgestattete Waffen,-deren Griffe und Schei-
den mit Schildpatt belegt sind, führt doch in der
Regel kein Bandit. Freilich wurde mir gegen diesen
Einwand von sehr beachtenswerter Seite der Vorhalt
gemacht, dass nichts der Annahme im Wege stehe,
ein vornehmer Herr habe derartige Waffen für seine
Rechnung anfertigen lassen und damit erst im Be-
darfsfälle den Gürtel seines Bravo ausgerüstet. Mög-
lich ist so etwas gewiss auch; ich erinnere nur an
die vornehmen feingebildeten Gewaltmenschen der
mittelalterlichen italienischen Städterepubliken, sowie
daran, dass die eleganten römischen Kurialisten mit-
unter die überzeugende Sprache eines gut gespitzten
eisernen Schreibrohres sehr wohl zu schätzen wussten
und verweise endlich auf den gerade jetzt in Mai-
land anhängigen Prozess gegen die Maffia: Vordem
Schwurgerichte in Mailand ziehen Bilder märchen-
haftester, abenteuerlichster Wirklichkeit vorüber,
welche wie Ueberreste mittelalterlicher Rechts-
unsicherheit feudaler Trützherrschaft in das moderne
Italien hineinragen: Der Abgeordnete Kommenda-
toreRaflaele Palizzolo hielt Meuchelmörder im Solde;
auf seinem Gute fanden die Briganten Nobile, Valvo,
de Pasquale, Fontana eine Freistätte; mit den Fingern
wies man in Palermo auf die Mörder des Bürger-
meisters Emanuele Notarbartolo hin — diese aber,
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