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Verein für Historische Waffenkunde [Editor]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 2
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Potier, Othmar: Etwas über das Vorkommen geöhrter Nadeln an Dolchmessern
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0050

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Zeitschrift für historische Waffenkunde.

II. Band.

36

die Anstifter und Helfershelfer bei der Uebelthat,
spazierten unbehelligt fast sieben Jahre lang herum,
denn die sizilianische Polizei war die Verbündete der
Maffia und that ihr Bestes, das Recht in Unrecht zu
verkehren! Dass sich also jemand mit einer Garde
aus Leuten umgiebt, die zu allem fähig sind, das
kommt auch jetzt noch vor; dass aber jemand in
der Voraussicht, er könne vielleicht einmal einen
Widersacher aus dem Wege räumen lassen müssen,
so elegante Mordwerkzeuge im Vorräte für even-
tuelle Fälle bereit halten sollte, so etwas scheint
mir doch eine sehr seltene Ausnahme zu sein.
Ein weiterer Umstand, welcher dem aufmerk-
samen Beobachter auffallen und ihn mahnen muss,
mit seinem Urteile vorsichtig zu sein, ist der, dass
alle mir zu Gesicht gekommenen derartigen Dolch-
messer einen, ich möchte sagen, weidmännischen
Charakter an sich tragen, so dass ich mich fragte:
Haben wir es hier nicht etwa doch nur mit einem
Jagdmesser zu thun? In dieser Auffassung bestärkte
mich eine Bemerkung Boeheims in dessen «Waffen-
kunde». Bei der Beschreibung von Jagdschwertern
heisst es dort (S. 255): «Charakteristisch ist dem
Jagdschwerte die an der äusseren Seite der Scheide
angebrachte sogenannte Besteckscheide, in welcher
in der Regel wenigstens ein Aufbruch-, ein Zerwirk-
messer und ein Pfriemen zum Auslösen der Fuss-
sehnen steckte.» Sollte also die geöhrte Nadel an
unseren Dolchmessern nur zum Auslösen der Fuss-
sehnen des erlegten Wildes dienen? Um darüber
Klarheit zu bekommen, hielt ich in Jägerkreisen
Umfrage. Aber alle die hirschgerechten Weidmän-
ner aus Salzburg, Steiermark, Ober- und Nieder-
österreich und Ungarn, deren Gutachten ich wegen
des Zweckes dieser Dolchmesser einholte, wollten
nie ein derartiges Messer, gesehen haben, und alle
Aeusserungen stimmten darin überein, die geöhrte
Nadel sei zum Auslösen von frischen Fusssehnen
zum sogenannten Schränken, überhaupt viel zu
schwach, das Oehr viel zu klein. Der Vollständig-
keit halber will ich aus dem Briefwechsel, welcher
sich darob zwischen mir und den zu Rate gezogenen
Nimroden entspann, einige, wenngleich recht krause
Ansichten über den Zweck der geöhrten Nadel an-
führen. Der eine Weidmann meinte, sie gehöre
wohl zum Zunähen von Wunden, andere wollten
gar in derselben einen Putzstock zum Reinigen von
Pistolenläufen erblicken, Meinungen, deren Unwahr-
scheinlichkeit einerseits wegen der Stärke der «Näh-
nadel» und mit Rücksicht auf deren Griff, anderer-
seits wegen der geringen Länge und Dicke, sowie
des spitzen Endes des «Putzstockes» auf der Hand
liegt.
Erst ein einfacher kärntnerischer Jäger brachte
mich — wie ich glaube — auf die richtige Fährte.
Nach dem Gutachten dieses Gewährsmannes werden
derartige geöhrte Nadeln dazu benutzt, um grösserem

Federwilde einen Faden durch die Nasenlöcher zu
ziehen, an welchem es aufgehängt wird. Wenn auch
die Stichhaltigkeit dieser Erklärung von mancher im
Weidwerke sehr erfahrenen Person besonders durch
den Hinweis darauf, dass die Stärke der Nadel z. B.
beim Herringschen Dolchmesser einen jeden Vogel-
schnabel zersprengen müsse, angezweifelt wurde, so
muss ich für meine Person gestehen, dass sie mich
vollauf befriedigt. Ich stellte an Gänsen, Enten,
Fasanen, Perl-, Repp- und Haushühnern mit dem in
meinem Besitze befindlichen Dolchmesser praktische
Versuche an, und niemals zerstörte die an diesem
Exemplar allerdings nur 2 mm starke Nadel trotz
der eingefädelten Rebschnur beim Einführen in die
Nasenlöcher den Schnabel des Vogels.
Mögen nun auch diese mit einer geöhrten Nadel
ausgestatteten Dolchmesser in erster Linie harmlose
Jagdgeräte sein, so ist es doch gewiss, dass sie in
der Faust eines in seinem Metier erfahrenen Banditen
zu einer um so gefährlicheren Waffe werden können,
als das Oehr das Einbringen einer den Heilprozess
der Wunde nachteilig beeinflussenden Substanz be-
günstigt, und die Nadel vermöge ihrer Form eine
so unscheinbare Wunde erzeugt, dass deren Ueber-
sehen um so eher möglich ist, wenn die Toten-
beschau etwa schablonenmässig oder von einem in
der gerichtlichen Medizin praktisch unerfahrenen
Landarzt vorgenommen wird: So kann die Anwen-
dung einer entsprechend starken Nadel die Ent-
deckung der Uebelthat hemmen und dadurch mittel-
bar die Flucht und das Auffinden des Verbrechers
begünstigen, beziehungsweise erschweren.
Wenn also diese eigentümlichen Dolchmesser
nur ein Ausrüstungsgegenstand im Gurte des Waid-
mannes waren, so drängt sich unwillkürlich die Frage
auf, ob nicht das mit diesen Waffen nah verwandte
Genuesermesser vielleicht doch auch nur ein höchst
unschuldiges Reisegerät ist? So sehr ich auch für
meine Person geneigt bin, in den mit einer ge-
öhrten Nadel versehenen Messern nichts anderes als
ein Jagdmesser zu erblicken, so halte ich trotzdem
an der Ansicht fest, dass das Genuesermesser zu-
nächst für «schlimmen Dienst» bestimmt war. Darin
bestärkt mich der sechskantige Querschnitt des
pfriemenartigen Teiles der Waffe, sowie auch die
ausserordentlich schweren Strafen, mit welchen die
savoyische Gesetzgebung durch fast zweihundert
Jahre in wiederholt erlassenen Edikten den Besitz
dieses Messers bedroht hatte.1) Und so lange mir
niemand einen stichhaltigen Grund, welcher die un-
gewöhnliche Strenge des Gesetzgebers in diesem
Falle rechtfertigt, dafür anzuführen weiss, so lange
glaube ich nicht an die Harmlosigkeit dieses «Näh-
messers».

’2) Ch. Baltin, Les armes prohibees en Savoie sous les royales
constitutions, Rumilly 1897, S. 11.
 
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