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Verein für Historische Waffenkunde [Editor]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

DOI issue:
Heft 3
DOI article:
Reimer, Paul: Die historische Waffenkunde auf kulturgeschichtlicher Grundlage
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0072

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58

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

II. Band.

ein Fortschritt in Art oder Führung- derselben zur
Einführung einer neuen Waffe oder Verbesserung
einer alten zwangen, und schliesslich muss sicher
festgestellt werden, auf welche Art die Waffe gegen
den Feind wirken sollte. Insbesondere wird die
Erläuterung der gestellten Anforderungen zur Cha-
rakterisierung der Schutzwaffen herangezogen werden
müssen, da sich diese in erster Linie nach den Trutz-
waffen des Gegners zu richten haben. Erst auf
Grund dieser Thatsachen ist ein Urteil über die zu
betrachtende Waffe möglich.
Den festgestellten Anforderungen konnte die
Konstruktion auf verschiedene Weise gerecht wer-
den, und zwar wird hier die Art des verwendeten
Materials und das Mass der Beherrschung der Technik
desselben zu berücksichtigen sein. Es bedarf also
hier einer eingehenden Kenntnis der Gewerbe und
Industrien der betr. Zeitperiode. Ausserdem wird
aber die Konstruktion wesentlich beeinflusst durch
die Ueberlieferung, die Gewohnheit des Arbeiters
und durch praktische Erwägungen, indem man z. B.
die neue Waffe der früheren möglichst ähnlich
macht, um den Krieger schneller an ihren Gebrauch
zu gewöhnen. Hier spielt der Volkscharakter eine
wichtige Rolle. Auch der Einfluss, welchen die
Notwendigkeit der Massenherstellung auf Gestalt und
Konstruktion der Waffe ausübt, darf nicht übergangen
werden, die zur Fabrikation notwendigen technischen
Einrichtungen und die einzelnen Verfahren der Her-
stellung müssen studiert werden. Hierher gehört
auch das Studium der Einführung, Herstellung und
Verwendung von Treib- und Sprengmitteln, obwohl
diese Stoffe oder Einrichtungen an sich keine Waffen,
aber für dieselben notwendige Erfordernisse sind,
deren Eigenart den bestimmendsten Einfluss auf die
Ausgestaltung des Waffenwesens überhaupt ausüben.
Schliesslich sind die Geschoss-, Hieb- u. s. w. Wirkung,
die Durchschlagskraft, Streuung u. s. w., sowie die
Arten der Verwundungen zu erörtern.
Die durch vorstehende Betrachtungen und Stu-
dien gewonnenen Ergebnisse gestatten nun erst eine
übersichtliche Darstellung des sachlich begründeten
Entwickelungsganges der betrachteten Waffe
nach Form und Konstruktion und geben als Fol-
gerung die Summe der waffentechnischen und bal-
listischen Anschauungen, also als kulturelles und
wissenschaftliches Moment die Waffenlehre der
betr. Zeit.
Eine wissenschaftliche Waffenlehre ist erst mit
der allgemeinen Einführung der gezogenen Feuer-
waffen ins Leben getreten, die wissenschaftliche
Ballistik und Konstruktionslehre schufen eine breite
Unterlage für das Verständnis auch der Schusswaffen
älterer Zeit. Wenn trotzdem die historische Waffen-
lehre nur hier und da im Geiste moderner An-
schauungen gepflegt worden ist, so liegt dies wohl
in erster Linie daran, dass eingehendere ballistische
Kenntnisse nur verhältnismässig wenigen Kreisen zu-
gänglich sind und diese meist nicht die erforder-

lichen kulturhistorischen Kenntnisse besassen, um
sich in den Dienst der historischen Waffenkunde
stellen zu können. Hier ist es vornehmlich der
praktisch, theoretisch und technisch geschulte Ar-
tillerie- und Infanterie-Offizier, der als Mit-
arbeiter für die historische Waffenkunde gewonnen
werden muss. Die Theorie der blanken Waffen, die
heute eine nur sehr untergeordnete Rolle spielen,
ist arg vernachlässigt worden, wirkliches Verständnis
für die Konstruktion und den Gebrauch der Hieb-
und Stichwaffen dürfte in erster Linie bei tüchtigen,
auf die verschiedensten Waffen eingeübten Fecht-
lehrern und bei Kavallerie-Offizieren zu finden
sein. Zweck des ersten Abschnittes ist es ja vor-
nehmlich, die Waffe früherer Zeit, ihren Zweck und
ihre Notwendigkeit unseren modernen Anschauungen
näher zu rücken, ein richtiges Urteil darüber kann
aber nur derjenige abgeben, welcher selbst praktisch
und theoretisch mit den heutigen Waffen vertraut ist.
Der zweite Hauptabschnitt der historischen
Waffenkunde hat die Frage zu beantworten: Wie
führt man die Waffe?
Es muss hier zunächst die Einzelwaffe im Rah-
men der Ausrüstung und sonstigen Bewaffnung und
Bekleidung des einzelnen Kriegers betrachtet werden,
ferner ihr Einfluss auf Umgestaltungen in der Be-
kleidung und Ausrüstung u. s. w. Die genaueste
Kenntnis des Umganges mit der Waffe, der Füh-
rung des Schwertes u. s. w., der Bedienung des Ge-
wehres, des Geschützes ist unerlässlich. Die Art
der Bewaffnung des einzelnen Mannes ist von be-
stimmendem Einfluss auf die Bildung der Truppen-
körper nach Waffengattungen, und in diesen auf die
Gliederung in kleineren Verbänden zum Zwecke der
Ausbildung und taktischen Verwendung. Hierher
gehören die in erster Linie kriegswissenschaftlichen
Fragen, wie die der Zuteilung von Artillerie zu In-
fanterie- oder Kavallerie-Truppenteilen, der Rege-
lung des Munitionsersatzes durch Bildung von Ko-
lonnen u. s. w. Auch die Zusammensetzung der
Heere wird zuweilen von der Art einer Waffe ab-
hängen, z. B. ist nicht nur in neuester Zeit die Frage
der Zuteilung schwerer Artillerie zu den Feldheeren
von grösster Bedeutung.
Besonders wichtig ist die Führung der Waffe
im Gefecht, die Taktik, auf der Grundlage der Be-
waffnung. Hier ist der Kampf Mann gegen Mann
sowohl, wie die Feldschlacht im ganzen, die Art
der Verwendung der Waffengattungen, die Gefechts-
formationen, Benutzung und Wert von Feldbefesti-
gungen zu betrachten, alles dieses mit Rücksicht
auf Waffengebrauch und Waffenwirkung. Der Ein-
fluss der Waffe auf den Festungsbau, auf das Wesen
der Belagerung und Verteidigung wird hier einen
breiten Raum einnehmen, die verschiedensten Ge-
schütz- und Schussarten, sowie Minen und die be-
sonderen Feuerwerkskörper können hier ihre Begrün-
dung und Würdigung finden. Erwünscht scheinen
hier kriegsgeschichtliche Abhandlungen, welche zur
 
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