5- Heft-
Zeitschrift für historische Waffenkunde.
135
mich aber bald ganz in den Bannkreis seiner warm-
herzigen Persönlichkeit gezogen. Seine gütigen und
klugen Worte, gesprochen mit einer merkwürdig
melodischen Stimme, fesselten mich ebenso sehr wie
sein bedeutendes Wissen, das mich zuerst im Un-
klaren darüber liess, ob ich es mit einem Philologen
von Fach oder mit einem Historiker zu thun hätte,
bis ich denn merkte, dass er noch in anderen
Wissenszweigen nicht minder gut Bescheid wusste,
und ich in unserer
Zeit vielfach ge-
spaltenen Sonder-
wissens einem je-
ner merkwürdigen,
immer seltener wer-
denden Menschen
gegenübersass, die
mit Recht die Be-
zeichnung eines
Humanisten verdie-
nen. Als mir nach
seinem Weggang
sein Name genannt
wurde, dann freilich
sagte ich mir, dass
so und nicht anders
der Verfasser der
«Geschichte der
Kriegswissenschaf-
ten», der Studie
«über Krieg, Frie-
den und Kultur»
und all der ande-
ren Werke, die ich'
schon längst b e wun-
derte, sein müsse.
Aber ich hatte Ge-
legenheit, im per-
sönlichen Verkehr
noch eine neue
Farbe seinem ohne-
hin schon farben-
reichen Bilde hin-
zufügen zu können:
im Juni 1900 traf
ich ihn zum «Goe-
thetag» in Weimar.
Jähns gehörte zu jenen Leuten, denen es Herzens-
bedürfnis geworden ist, von Zeit zu Zeit neue Kraft
zum Leben und zum Schaffen an der klassischen
Stätte, ihrer zweiten Heimat, zu gewinnen. Es sind die-
jenigen, die zu der innerlichen Weimar-Gemeinde
gehören, diejenigen, für deren Leben die Kunst, die
Schönheit, das Streben nach Erkenntnis Bedingungen
sind. Und Jähns war — das wurde mir in Weimar
so recht deutlich — eine künstlerische Natur, ja er
war es in solchem Masse, dass das Streben nach
harmonischer Ausgestaltung seiner Persönlichkeit
und seines Wirkens, d. h. also doch das Streben
nach Kunst, in erster Linie zu nennen ist, wenn man
nach den Triebfedern seines Handelns sucht. Ich
glaube kaum, dass ein empfänglicher Leser sich
beim Studium irgend einer Jähnsschen Schrift dem
Eindruck entziehen kann, dass nicht nur die reife
Wissenschaftlichkeit ihn zur Bewunderung stimmt,
sondern ebensosehr die reife Kunst, die der Schrift-
steller auf die Darstellung des Erforschten verwandt hat.
Dem Zauber der Jähnsschen Sprache kann man sich
nicht entziehen, die
mit grösster Rein-
heit und Einfach-
heit selbst dann
noch eine poetische
Grundstimmung zu
vereinen weiss,
wenn man von der
Art des behandel-
ten Gegenstandes
sie keineswegs vor-
auszusetzen berech-
tigt war. Neben
die künstlerische
Ausdrucksweise
tritt aber noch das
künstlerische Er-
fassen und die
künstlerische An-
schauung des Ge-
genstandes. Denn
Jähns wusste wohl,
dass auch der Phan-
tasie in der wissen-
schaftlichen Arbeit
ihr Recht gehört,
sofern sie sich nur
der Kritik des Ver-
standes unterord-
net. Schliesslich
ist es ja doch sie,
welche die Fäden
zum Stoffe zusam-
menwebt, und sie
hat ebenso bei der
Entwicklungslehre
Darwins mitspre-
chen dürfen wie bei
der römischen Geschichte Mommsens. Wer mit
Aufmerksamkeit in der Jähnsschen «Entwicklungs-
geschichte der alten Trutzwaffen» gelesen hat, wird
mich verstehen. Jähns hat hier selbst ein glänzendes
Beispiel zu dem geliefert, was er einmal im Vorwort
zur «Geschichte der Kriegs Wissenschaften» ausspricht:
«Nur derjenige Bildner, der Material und Werkzeug
genau kennt und würdigt, der mit Sicherheit weiss,
wie weit die Leistungsfähigkeit desselben geht, wird
etwas zu schaffen vermögen. Ein Künstler ist er
darum noch keineswegs, auch dann noch nicht,
wenn er die Handhabung jener Werkzeuge versteht:
Zeitschrift für historische Waffenkunde.
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mich aber bald ganz in den Bannkreis seiner warm-
herzigen Persönlichkeit gezogen. Seine gütigen und
klugen Worte, gesprochen mit einer merkwürdig
melodischen Stimme, fesselten mich ebenso sehr wie
sein bedeutendes Wissen, das mich zuerst im Un-
klaren darüber liess, ob ich es mit einem Philologen
von Fach oder mit einem Historiker zu thun hätte,
bis ich denn merkte, dass er noch in anderen
Wissenszweigen nicht minder gut Bescheid wusste,
und ich in unserer
Zeit vielfach ge-
spaltenen Sonder-
wissens einem je-
ner merkwürdigen,
immer seltener wer-
denden Menschen
gegenübersass, die
mit Recht die Be-
zeichnung eines
Humanisten verdie-
nen. Als mir nach
seinem Weggang
sein Name genannt
wurde, dann freilich
sagte ich mir, dass
so und nicht anders
der Verfasser der
«Geschichte der
Kriegswissenschaf-
ten», der Studie
«über Krieg, Frie-
den und Kultur»
und all der ande-
ren Werke, die ich'
schon längst b e wun-
derte, sein müsse.
Aber ich hatte Ge-
legenheit, im per-
sönlichen Verkehr
noch eine neue
Farbe seinem ohne-
hin schon farben-
reichen Bilde hin-
zufügen zu können:
im Juni 1900 traf
ich ihn zum «Goe-
thetag» in Weimar.
Jähns gehörte zu jenen Leuten, denen es Herzens-
bedürfnis geworden ist, von Zeit zu Zeit neue Kraft
zum Leben und zum Schaffen an der klassischen
Stätte, ihrer zweiten Heimat, zu gewinnen. Es sind die-
jenigen, die zu der innerlichen Weimar-Gemeinde
gehören, diejenigen, für deren Leben die Kunst, die
Schönheit, das Streben nach Erkenntnis Bedingungen
sind. Und Jähns war — das wurde mir in Weimar
so recht deutlich — eine künstlerische Natur, ja er
war es in solchem Masse, dass das Streben nach
harmonischer Ausgestaltung seiner Persönlichkeit
und seines Wirkens, d. h. also doch das Streben
nach Kunst, in erster Linie zu nennen ist, wenn man
nach den Triebfedern seines Handelns sucht. Ich
glaube kaum, dass ein empfänglicher Leser sich
beim Studium irgend einer Jähnsschen Schrift dem
Eindruck entziehen kann, dass nicht nur die reife
Wissenschaftlichkeit ihn zur Bewunderung stimmt,
sondern ebensosehr die reife Kunst, die der Schrift-
steller auf die Darstellung des Erforschten verwandt hat.
Dem Zauber der Jähnsschen Sprache kann man sich
nicht entziehen, die
mit grösster Rein-
heit und Einfach-
heit selbst dann
noch eine poetische
Grundstimmung zu
vereinen weiss,
wenn man von der
Art des behandel-
ten Gegenstandes
sie keineswegs vor-
auszusetzen berech-
tigt war. Neben
die künstlerische
Ausdrucksweise
tritt aber noch das
künstlerische Er-
fassen und die
künstlerische An-
schauung des Ge-
genstandes. Denn
Jähns wusste wohl,
dass auch der Phan-
tasie in der wissen-
schaftlichen Arbeit
ihr Recht gehört,
sofern sie sich nur
der Kritik des Ver-
standes unterord-
net. Schliesslich
ist es ja doch sie,
welche die Fäden
zum Stoffe zusam-
menwebt, und sie
hat ebenso bei der
Entwicklungslehre
Darwins mitspre-
chen dürfen wie bei
der römischen Geschichte Mommsens. Wer mit
Aufmerksamkeit in der Jähnsschen «Entwicklungs-
geschichte der alten Trutzwaffen» gelesen hat, wird
mich verstehen. Jähns hat hier selbst ein glänzendes
Beispiel zu dem geliefert, was er einmal im Vorwort
zur «Geschichte der Kriegs Wissenschaften» ausspricht:
«Nur derjenige Bildner, der Material und Werkzeug
genau kennt und würdigt, der mit Sicherheit weiss,
wie weit die Leistungsfähigkeit desselben geht, wird
etwas zu schaffen vermögen. Ein Künstler ist er
darum noch keineswegs, auch dann noch nicht,
wenn er die Handhabung jener Werkzeuge versteht: