Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Reimer, Paul: Aus französischen Geschützgiessereien unter Ludwig XIV.
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0194

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
iSo

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

II. Band.

rutschenden Erde des dahinter ansteigenden Walles
einen Aufgang auf letzteren bildete, dessen Erstür-
mung, wenn nötig, den Schluss des Angriffs bildete,
falls der Verteidiger nicht unterdessen weiter rückwärts
ein «Retranchement» hergestellt und besetzt hatte.
Der erfolgreiche Fortgang der Belagerung hing
also in erster Linie davon ab, dass die Artillerie
den an sie gestellten Anforderungen voll entsprach,
eine Verminderung ihrer Leistungsfähigkeit musste
einem rührigen Verteidiger Gelegenheit zu wirk-
samen Gegenmassregeln bieten und das Gelingen
des ganzen Angriffs gefährden, jedenfalls aber den
endlichen Erfolg beträchtlich verzögern. Ein solcher,
die ehrgeizigen Pläne Ludwigs XIV. störender Fall
trat zuerst im Jahre 1688 bei der Belagerung der
kleinen Reichsfestung Philippsburg ein, die im Sep-
tember jenes Jahres den räuberischen, von so trau-
rigen Folgen für diese blühenden Länder begleiteten
Einfall in die Pfalz und Baden einleitete, mit dem
Ludwig Deutschland empfindlich zu schädigen suchte,
als dessen Heere noch in Ungarn siegreich gegen
die Türken fochten. Mitten im Frieden überfallen,
also ohne umfassende Vorbereitungen getroffen zu
haben, konnte sich Philippsburg trotz seiner geringen
Hilfsmittel dem weit überlegenen, sehr energischen
Angreifer gegenüber vier Wochen halten, weil bei
der Artillerie des Belagerers auffallend viele Ge-
schütze sprangen oder auf andere Weise unbrauch-
bar wurden. Die gleichen für Ludwig sehr ärger-
lichen Vorkommnisse traten auf bei dem im selben
Jahre stattgefundenen Bombardement von Coblenz
und wiederholten sich bei der Belagerung der
Festung Mons im Jahre 1691, vor Namur und beim
Bombardement von Charleroi im Jahre 1692, bei
der Belagerung des letzteren Platzes im Jahre 1693,
sowie endlich bei den Kämpfen der Franzosen in
Ober-Italien und den Wirren in Irland, welchen
Ludwig zur Zerrüttung der englischen Macht seine
Unterstützung lieh. Es erwies sich hierbei der weit-
aus grösste Teil des französischen Artillerie-Materials
anscheinend als durchaus unbrauchbar, so dass man
sich schliesslich im Jahre 1694 genötigt sah, fast
die gesamte Artillerie mit neuen Geschützen aus-
zurüsten, wobei man sogar zu den damals wenig
geschätzten eisernen Rohren seine Zuflucht nehmen
musste, eine Notwendigkeit, die um so unangenehmer
war, als das ausgesogene Land die Mittel für die
bereits ins Ungeheure angewachsenen Ausgaben für
Heereszwecke kaum mehr zu liefern vermochte. Die
Verantwortung für diese Vorkommnisse, die sich
z. T. unter Ludwigs Augen selbst abspielten und
den Zorn des Sonnenkönigs in hohem Masse er-
regen mussten, verstand der damalige Komman-
dierende der französischen Artillerie, Herr de Vigny,
der auch die artilleristische Oberleitung bei den
meisten Belagerungen der letzten Jahre gehabt hatte,
auf den Geschützgiesser Jean Keller abzuwälzen,
welcher mit seinem jüngeren Bruder Balthasar die
Königliche Geschützgiesserei in Douai betrieb.

Die Gebrüder Keller, Schweizer von Geburt,
waren von Zürich wahrscheinlich Anfang der 50 er
Jahre, wenig über 20 Jahre alt, nach Frankreich
eingewandert und scheinen 1654 in königliche Dienste
getreten zu sein. Im Jahre 1659 waren sie in Oude-
narde mit der Ausbesserung gebrauchter Geschütze
beschäftigt und erhielten, wie später gezeigt werden
wird, nicht lange darauf den grössten Teil des fran-
zösischen Geschützgiesserei-Wesens, dessen Haupt-
stätte damals Douai gewesen sein dürfte. Zu Be-
ginn des Jahres 1694 hatte Balthasar Keller in Paris
alle Vorbereitungen für den Guss des 21 Fuss hohen
Reiterstandbildes Ludwigs XIV., eines Werkes des
Künstlers Francois Girardon, getroffen, welches fünf
Jahre später auf dem Vendöme-Platz aufgestellt
wurde und wegen seiner Abmessungen das grösste
Staunen über die Leistungen der französischen Giess-
kunst erregte. Kein Wunder, dass sich unser genialer
Schlüter 1696 zum Studium dieses Wunderwerkes
nach Paris begab, von wo er einen Gehilfen Kellers,
den Bronzegiesser Johann Jacobi, mitbrachte, welcher
zwei Jahre später in dem Königlichen Giesshause zu
Berlin die berühmte Reiterstatue des grossen Kur-
fürsten goss, ein Werk, welches lange Zeit hindurch
den Namen des Giessers in aller Mund brachte,
während derjenige Andreas Schlüters, des eigent-
lichen Schöpfers, damals ganz in den Hintergrund
trat. Erst die Nachwelt hat das Verhältnis wieder
richtig gestellt und Schlüter zu seinem wohl er-
worbenen Ruhme verholfen. — Jedenfalls hatten die
Gebrüder Keller, die sich als Bronzegiesser des
höchsten Ansehens erfreuten, viele Neider, und man
benutzte gerne die Gelegenheit, welche das auffallend
häufige Springen von Geschützen während der letzten
Kriegsjahre bot, üm bereits 1693 die Entfernung der
beiden Brüder aus ihrem Amte zu betreiben. Da
aber durch eine solche Massnahme die Fertigstellung
der Reiterstatue Ludwigs, an deren Modell bereits
seit den 80 er Jahren gearbeitet wurde, gänzlich in
Frage gestellt worden wäre, so schritt hier der
König selbst energisch ein, und machte den In-
triguen ein Ende. Herr de Vigny, welcher den
Gebrüdern Keller besonders feindlich gesinnt ge-
wesen sein muss, nahm alsbald die Treibereien gegen
dieselben wieder auf, es erschienen Flugschriften, in
welchen behauptet wurde, dass Keller minderwertige
Legierungen zu den Geschützen verwandt, die ihm ge-
lieferten guten Metalle aber unterschlagen habe u. s.w.
Es gelang Herrn de Vigny schliesslich, den Marquis
de Barbesieux, den allerdings weniger einflussreichen
Sohn und Nachfolger des Ministers Louvois, von
der Schuld des älteren Keller zu überzeugen und
diesen aus seinem Amte in Douai zu verdrängen.
Sein Nachfolger wurde zunächst sein Bruder Balthasar,
zu dessen Kunst man ein grösseres Vertrauen ge-
habt zu haben scheint. Ausserdem aber wusste man
den König zur Berufung einer Konferenz zu be-
stimmen, welche aus zahlreichen Sachverständigen
des ganzen Reiches bestand und feststellen sollte,
 
Annotationen