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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]; Verein für Historische Waffenkunde [Mitarb.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 9
DOI Artikel:
Reimer, Paul: Ein Stück Feuertaktik aus dem Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0362

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344

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

II. Band.

Dem Geiste der damaligen Gefechtsführung
hätte es nun entsprochen, wenn. der Kurfürst, der
über die sehr überlegene Stärke des Gegners durch-
aus im Klaren war, die Stadtmauern in Verteidigungs-
zustand gesetzt und besetzt hätte, oder aber dem
Gegner in offenem Felde entgegengetreten wäre.
Für den letzteren Fall war indessen seine Streit-
macht, besonders die Zahl der gewappneten Reiter,
viel zu gering, eine Verteidigung der Stadtmauer
aber neben dem allgemeinen Nachteil jeder der-
artigen Verteidigung, dass der Angreifer die Wahl
des Angriffspunktes hat, um so mehr unthunlich,
als sich das Schloss und der Turm des Kerkower
Thores noch immer in den Fländen des Feindes
befand. Anstatt nun aber unter Aufgabe des wich-
tigen Platzes einen geeigneteren Rückhalt zu suchen,
wandte der Kurfürst ein eigenartiges taktisches Ver-
fahren an, das zwar den Erfolg für sich gehabt hat,
aber bei umsichtigerer Führung des Feindes sehr
gewagt erscheinen muss. Er besetzte zwar die Stadt-
mauer nebst den übrigen drei Thortürmen unter
Verwendung von Handbüchsen, die Hauptmasse
seines Fussvolkes konzentrierte er indessen auf dem
anscheinend sehr geräumigen Markte, wo er eine
Wagenburg zusammenfahren und an der Sperrung
der vier Strassen mit seinen Geschützen besetzen
liess. Die Stadtthore blieben offen. Die Reiterei
stellte der Kurfürst ausserhalb der Stadt völlig ge-
deckt auf. Auf einen Angriff in der nächsten Nacht
war der Kurfürst zunächst nicht gefasst, und nur der
kriegerischen Unerfährenheit des Herzogs Otto ist
derselbe gegen den Rat seiner Unterführer zuzu-
schreiben. Der Herzog, welcher von den Mass-
nahmen des Kurfürsten Kenntnis erhalten, übernahm
persönlich den Befehl über die gegen das Schloss
vorgehende Sturmkolonne und konnte sich bald mit
der Besatzung desselben vereinigen, während ein
anderer Teil des Heeres zugleich mit dem Herzog
durch das Kerkower Thor in die Stadt eindringen
sollte.
Nachdem der Kurfürst von dem bevorstehenden
Nachtangriff Nachricht erhalten, alarmierte er sofort
seine Leute, liess alles zur Verteidigung der Wagen-
burg vorbereiten und übernahm selbst das Kom-
mando, noch ehe sich der Angriff der Pommern
entwickelte. Es heisst dann weiter:
«Die Pommern waren gegen Mitternacht ohne
Widerstand in die Stadt eingedrungen, aber ge-
rade das Ausbleiben desselben scheint eine grosse
Stockung hervorgerufen zu haben, denn alle Er-
zählungen stimmen darin überein, dass die einge-
drungenen Völker in drei Strassen in grösserer Ent-
fernung vor der brandenburgischen Wagenburg Halt
machten und sich dichte Haufen aufstauten. Die
Brandenburger standen in der Wagenburg und bei
ihren Steinbüchsen in grösster Ruhe bereit, ohne
zu schiessen.
Endlich erscholl das vom Fierzog Otto aus-
gegebene Feldgeschrei «Stettin!» und unter Trommel-

schlag und Trompetenschall setzten sich die Sturm-
haufen vom Schlosse und vom Kerkower Thor her
gegen den Marktplatz in Bewegung. Aber auch
jetzt fiel kein Schuss von den Brandenburgern, bis
die pommerschen Hellebarten und Piken in den
Nachtfeuern der Brandenburger erglänzten, sagt die
Chronik. Jedenfalls liess man die Angreifer ganz
nahe heran, ehe man Feuer gab, ein Verhalten, das
man wohl mit dem unserer Truppen in manchen
Momenten von 1866 vergleichen kann.
Der Kurfürst stand inmitten seiner Völker neben
dem aufgerichteten Banner der Kurmark und soll
mit dem Rufe «Brandenburg» selbst das Zeichen
zum Feuern gegeben haben. Sofort donnerten die
Steinbüchsen, und mag es richtig sein, dass auf
diese nahe Entfernung jede Kugel in die dichten
Haufen einschlug und tiefe, blutige Furchen riss.
Ein furchtbares Geschrei erhob sich und die vor-
dersten Haufen wandten sich zur Flucht; da aber
die hintersten unter dem Feldgeschrei «Stettin» vor-
wärts drängten, kam der Angriff noch einmal in
Fluss. Eine zweite Ladung der Steinbüchsen aber
liess ihn scheitern. Die Massen wälzten sich zurück,
und nun brachen die Brandenburger aus der Wagen-
burg hervor und fielen mit der blanken Waffe auf
den Feind.»
Die vom Kerkower Thore her eingefallenen
Pommern wurden auf dieses zurückgedrängt, ebenso
die andere Kolonne auf das Schloss, welches von den
heftig nachdrängenden Brandenburgern genommen
wurde. Die brandenburgische Reiterei, welche bis-
her den Fortgang des Gefechts genau verfolgt hatte,
war inzwischen mit einem Teile den in den Strassen
kämpfenden Pommern in den Rücken gefallen, die
Hauptmenge aber griff die unterdessen um den See
herum vorgegangene polnische Reiterei überraschend
an und warf dieselbe trotz deren mehrfacher Ueber-
legenheit zurück. Jedenfalls vergrösserte die Dunkel-
heit die allgemeine Verwirrung der pommerschen
Völker bedeutend, denn im Morgengrauen befand
sich der Feind in vollem Abzüge nach Norden und
der Erfolg dieses nächtlichen Gefechts stellte sich
als vollständiger Sieg des Kurfürsten mit allen seinen
politisch wichtigen Folgen heraus.
Was den Waffenhistoriker an diesem eigen-
artigen, kriegerischen Ereignis interessiert, ist die
den vorliegenden Versältnissen in durchaus origi-
neller und zweckentsprechender Weise angepasste
Verwendung des Geschützes. Dieselbe wird zwar
in der Schlussbetrachtung von dem Flerrn Verfasser
gebührend gewürdigt, doch lohnt es sich, an dieser
Stelle noch näher darauf einzugehen.
Leider finden sich keinerlei Angaben über Stärke
und Art der Artillerie des Kurfürsten. Zu jener
Zeit hatten die Hussitenkriege eben begonnen, und
der Erfolg jener fanatisierten Heermassen wird be-
kanntlich mit auf die geschickte Anwendung der
Feuergeschütze zurückgeführt, ein Zeichen, dass die
häufigere Verwendung des Feuergeschützes im Ge-
 
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