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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Beenken, Hermann: Süddeutsche Steinmadonnen um 1300
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0095

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abgeflacßt, die äußeren Ränder drängen in die Vorderfläcße, das Äuge [oll fie nid)t
meßr als Horizonte einer Rundform umtaften, [ondern an ißnen entlang den ümriß als
Flädjengrenze fcßreiben.
Diefe Tendenzen machen fließ in der deut[d)en Skulptur im allgemeinen fcßon [eit
etwa 1320 fühlbar. Da die Figur nun noch [o viele altertümliche 3üge, die etwa am
Mittelrhein um 1320 längft abge[treift [ind, bewahrt hat, liegt nahe, ein mögliche
frühes Datum anzufetjen. Aber diefe Erwägung ift keine gültige, wir haben vielmehr von
den fortgefchrittenften Motiven auszugehen, ünd da wird es fchwer fallen, die neue
Flächigkeit und Geradheit der Formen vor 1340 zu denken. Auch bei diefem Meifter
ift die ältere Figur die [einem Empfinden konformere. Richtet [ich die jüngere nun
auf, nimmt pe fjaltung gegen den Befchauer, nichts als den Kopf in alter Mattheit
noch gleiten laffend, fonft aber ftandfeft und beherrfcht, [o wird man auch hier wohl
den Einfluß eines fremden jüngeren Füßlens auf einen fcßon Alternden annehmen
dürfen. Die ÜUeilerer Madonna in Stuttgart vom Rottweiler Prophetenmeifter, die
Madonna des Nordportals vom Augsburger Dom (1343)1 find als Schöpfungen jüngerer
Kräfte der Frauenauracßerin vielleicht gleichzeitig. Man darf nie vergeffen, daß mehrere
Generationen nebeneinander leben und wirken, und daß mit der bloßen Datierung
eines Klerkes die entwicklungsgefcßicßtlicße Stellung auch rein zahlenmäßig noch nicht
fixiert ift. Mit ißr wird fließ eine [cßärfer eindringende Stilkritik nicht begnügen dürfen,
[ie wird außer nach dem Geburtsjahr des Klerkes aueß nach dem des Meifters fragen
müffen.
So ergeben die vier hier befproeßenen Steinmadonnen trob zweifellos vorhandenen
Klerkflatt- und Eraditionszufammenßanges an fließ noch keine folgerichtige Reiße. Daß
die Niedermünftermadonna zeitlich zwifeßen Lorenzer und Scßottenmadonna und diefe
wieder zwifeßen Niedermünftermadonna und Frauenauracßer gehört, ift oßne weiteres
nicht erficßtlicß. Es wird vielmehr erft waßrfcßeinlich, wenn wir nach den hinter den
Klerken flehenden Schaffenden fragen. Die Kunftgefcßicßte unterfteßt nur ganz im
Großen gefeßen abftrakten Entwicklungsgefetjen. Sobald man ins einzelne geht, flößt
man auf den Menfcßen, auf fein individuelles und gattungsmäßiges Kiefen.
1 Goldfdjmidt a. a. 0. Äbb. 15 und 16.

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