Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0201
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Riesebieter, Martha: Die Sandsteinfigur einer Herkules von Ludwig Münsterman im Bremer Gewerbemuseum
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Die Sandfteinfigur eines ßerkules von Ludwig
Münfterman im Bremer Gewerbemufeum
Mit einer Tafel Von MARTHA RIESEBIETER
Im Creppenßaus des Bremer Gewerbemufeums, auf falber Flöße, fteßt die Sandftein-
figur eines Fjerkules, die, nicht durch) urkundliche Nachrichten oder Infchriften gefiebert,
nur vermöge zwingender Stilkritik dem erft in jüngfter 3eit bekanntgewordenen
Hamburger Bildhauer Ludwig Miinfterman zugefchrieben werden muß. Der Bauunter-
nehmer Vollmer-Bremen feßenkte pe 1897 dem Mufeum, und es darf angenommen
werden, daß fie beim Äbreißen alter Fjäufer in feinen Befife kam1. Der urfprünglicße
Standort der Figur muß fo befeßaffen gewefen fein, daß er ißr eine Rückendeckung
bot, weil Fjinterkopf, Rücken und die eine Seite des bis zum Sockel niederfallenden
Löwenfelles keine gründliche Durchbildung erfahren haben und nur fkizzenhaft an-
gedeutet find. Ein grauer Ölfarbenanftrid), der ehemals die ganze Figur bedeckt hat,
pfct noch ftark in den ausgemeißelten Liefen; im übrigen zeigt die Figur den grauen
Steinton.
Äuf viereckigem Sockel reckt [ich in [chraubenförmigen Bindungen der unbekleidete
Körper des Fjerkules ßocl). Außerordentliche Betonung der Vertikalen liegt im großen
ebenfo im Verhältnis der Flöße (1,36 m) zur Schulterbreite (0,33 m), wie im einzelnen
in dem Verhältnis der ftark verkürzten Arme zu den langgeftreckten Beinen. Der
Kopf mit der bis an die Stirn reichenden Löwenmaske ift zur Seite geneigt. Faft bis
zur Übertreibung verkürzt find die in den Ellbogen umgebogenen Arme, die fich eng
an den muskulöfen Körper lehnen. Die linke Fjand faßt die über die Schulter gelegte
Keule, während die rechte in gleicher Weife, wie es bei den Münftermanfcßen Apofteln
am Altar in Varel, 1614, zu beobachten ift, mit weit gefpreizten Fingern konvulfivifcß
an die ausladende Prüfte gepreßt ift. Sie drückt ein Luch an fich, welches locker über
den Unterleib und den rechten Oberfcßenkel gleitet. Die kraftvollen Beine zeigen von
den Knien ab fäbelartige Ausbiegungen, die, konvergierend, in den Füßen mit der
krampfartigen 3eßenbildung, entfpreeßenden Abfcßluß finden. Die durch Wellenlinien
gekennzeichnete Löwenhaut fällt in flüffiger Linie, den Rücken deckend, und verleiht
dem vertikalen Grundmotiv betonten Nachdruck.
Nur durch Vergleich mit den bereits bekannten Figuren, die durch Signaturen oder
fonftige urkundliche Nachrichten als Münftermanfcße Erzeugniffe feftfteßen, kann die
unbedingte 3ugehörigkeit diefer Arbeit zum Werke des Meifters erläutert werden. —
Münftermanfche Proportionen, entgegen aller Natur, durch Steigerung feßnfücßtigen
Sicßreckens und In-die-Flöße-wachfens bedingt, kommen kaum wieder fo vollkommen
und klar zur Erfcßeinung, wie in diefer nackten Geftalt. Der fcßmalfchultrige Leib fteht
in keinem organifchen Verhältnis zu feiner Länge und das immer Sicß-windende und
-krümmende, das im Werden und Sicßformen Begriffene, ein wefentlid}es Eigentum
aller Münftermanfchen Figuren, erhöht den Eindruck des Lebendigwachfenden. — Der
Geficßtstypus zeigt nahe Verwandtfcßaft mit dem rechten FJorfeniften auf dem Gefims-
rand einer Orgelumkleidung im Bremer Gewerbemufeum2. F)ier wie dort ift die FJaken-
nafe feßarf herausgearbeitet, die Backenknochen fpringen vor und die Augen liegen in
tiefen FJößlen. — Auf die Beziehung zu den Vareler Apofteln wurde feßon ßingewiefen
Das feltfame ßandmotiv ift wirklich fo urperfönlich in feiner Ausprägung, daß es allen
1 Nähere Hufzeicbnungen über den Fundort und dergleichen fehlen im Mufeum, und die Familie
des verdorbenen Gebers konnte ebenfalls keine genaueren Hngaben machen.
2 K- Schäfer: Ein Jugendwerk des Bildhauers M. Ludwig Münfterman aus Fjamburg. Jahrt». d.
Bremifchen Sammlungen. 1910, S. 11 ff.
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Münfterman im Bremer Gewerbemufeum
Mit einer Tafel Von MARTHA RIESEBIETER
Im Creppenßaus des Bremer Gewerbemufeums, auf falber Flöße, fteßt die Sandftein-
figur eines Fjerkules, die, nicht durch) urkundliche Nachrichten oder Infchriften gefiebert,
nur vermöge zwingender Stilkritik dem erft in jüngfter 3eit bekanntgewordenen
Hamburger Bildhauer Ludwig Miinfterman zugefchrieben werden muß. Der Bauunter-
nehmer Vollmer-Bremen feßenkte pe 1897 dem Mufeum, und es darf angenommen
werden, daß fie beim Äbreißen alter Fjäufer in feinen Befife kam1. Der urfprünglicße
Standort der Figur muß fo befeßaffen gewefen fein, daß er ißr eine Rückendeckung
bot, weil Fjinterkopf, Rücken und die eine Seite des bis zum Sockel niederfallenden
Löwenfelles keine gründliche Durchbildung erfahren haben und nur fkizzenhaft an-
gedeutet find. Ein grauer Ölfarbenanftrid), der ehemals die ganze Figur bedeckt hat,
pfct noch ftark in den ausgemeißelten Liefen; im übrigen zeigt die Figur den grauen
Steinton.
Äuf viereckigem Sockel reckt [ich in [chraubenförmigen Bindungen der unbekleidete
Körper des Fjerkules ßocl). Außerordentliche Betonung der Vertikalen liegt im großen
ebenfo im Verhältnis der Flöße (1,36 m) zur Schulterbreite (0,33 m), wie im einzelnen
in dem Verhältnis der ftark verkürzten Arme zu den langgeftreckten Beinen. Der
Kopf mit der bis an die Stirn reichenden Löwenmaske ift zur Seite geneigt. Faft bis
zur Übertreibung verkürzt find die in den Ellbogen umgebogenen Arme, die fich eng
an den muskulöfen Körper lehnen. Die linke Fjand faßt die über die Schulter gelegte
Keule, während die rechte in gleicher Weife, wie es bei den Münftermanfcßen Apofteln
am Altar in Varel, 1614, zu beobachten ift, mit weit gefpreizten Fingern konvulfivifcß
an die ausladende Prüfte gepreßt ift. Sie drückt ein Luch an fich, welches locker über
den Unterleib und den rechten Oberfcßenkel gleitet. Die kraftvollen Beine zeigen von
den Knien ab fäbelartige Ausbiegungen, die, konvergierend, in den Füßen mit der
krampfartigen 3eßenbildung, entfpreeßenden Abfcßluß finden. Die durch Wellenlinien
gekennzeichnete Löwenhaut fällt in flüffiger Linie, den Rücken deckend, und verleiht
dem vertikalen Grundmotiv betonten Nachdruck.
Nur durch Vergleich mit den bereits bekannten Figuren, die durch Signaturen oder
fonftige urkundliche Nachrichten als Münftermanfcße Erzeugniffe feftfteßen, kann die
unbedingte 3ugehörigkeit diefer Arbeit zum Werke des Meifters erläutert werden. —
Münftermanfche Proportionen, entgegen aller Natur, durch Steigerung feßnfücßtigen
Sicßreckens und In-die-Flöße-wachfens bedingt, kommen kaum wieder fo vollkommen
und klar zur Erfcßeinung, wie in diefer nackten Geftalt. Der fcßmalfchultrige Leib fteht
in keinem organifchen Verhältnis zu feiner Länge und das immer Sicß-windende und
-krümmende, das im Werden und Sicßformen Begriffene, ein wefentlid}es Eigentum
aller Münftermanfchen Figuren, erhöht den Eindruck des Lebendigwachfenden. — Der
Geficßtstypus zeigt nahe Verwandtfcßaft mit dem rechten FJorfeniften auf dem Gefims-
rand einer Orgelumkleidung im Bremer Gewerbemufeum2. F)ier wie dort ift die FJaken-
nafe feßarf herausgearbeitet, die Backenknochen fpringen vor und die Augen liegen in
tiefen FJößlen. — Auf die Beziehung zu den Vareler Apofteln wurde feßon ßingewiefen
Das feltfame ßandmotiv ift wirklich fo urperfönlich in feiner Ausprägung, daß es allen
1 Nähere Hufzeicbnungen über den Fundort und dergleichen fehlen im Mufeum, und die Familie
des verdorbenen Gebers konnte ebenfalls keine genaueren Hngaben machen.
2 K- Schäfer: Ein Jugendwerk des Bildhauers M. Ludwig Münfterman aus Fjamburg. Jahrt». d.
Bremifchen Sammlungen. 1910, S. 11 ff.
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